Mörderische Tage
zu ihrem Auto, wo sie sich noch einmal umdrehte und sagte: »Warum nur wir zwei?«
Hellmer kam zu ihr und sagte leise: »Weil ich dir vertraue, frag mich aber nicht, warum. Und weil ich Julia was schulde. Sonst noch was?«
»Nee, alles paletti.«
Um zwanzig nach elf war Hellmer wieder zu Hause, begrüßte Susanne mit einer Umarmung, duschte und setzte sich zu den beiden Frauen. Während sie sich eine Flasche Wein teilten, trank er Wasser. Er suchte Entspannung, doch er war viel zu aufgewühlt. Er konnte sich an keinen Tag in seiner Berufslaufbahn erinnern, an dem er mehr gefordert worden war als an diesem Samstag. Ein kohlpechrabenschwarzer Samstag.
»Macht's euch was aus, wenn ich mich für 'ne Weile verabschiede? Ich geh nur einen Stock tiefer, Energie abbauen.«
»Mach ruhig«, sagte Nadine verständnisvoll, Susanne lächelte und nickte nur, während sie sich an ihrem Weinglas festhielt.
Er begab sich ins Untergeschoss, drehte ein paar Runden im Pool, um sich danach die Boxhandschuhe überzuziehen und sich am Sandsack auszutoben. Er war wütend, zornig, enttäuscht, frustriert und über die Maßen traurig. Er verstand nicht, was vor sich ging, aber er wollte es verstehen.
Was hatte Lara Jung gleich gesagt? Es ist häufig die Eröffnung, die ein Schachspiel entscheidet. Die Eröffnung, die Eröffnung, die Eröffnung. Wer schlau genug ist, kann auch die beste Eröffnung zu einem Desaster für den Gegner werden lassen. Du hast Kontakt zu uns aufgenommen, das erste Mal überhaupt, denn zwei anonyme Anrufer wären doch zu viel des Guten. Du willst das Spiel, also kriegst du dein Spiel. Und gnade dir Gott, wenn ich dich zwischen die Finger bekomme, ich zerquetsch dich wie eine Tomate. Und ich schwöre dir bei allem, was mir heilig ist, du wirst dir wünschen, nie geboren worden zu sein.
Wie ein wilder Stier boxte er auf den Sandsack ein, der Schweiß floss in Strömen über seinen Körper. Du verdammter Bastard, du bist nicht vollkommen. Du machst Fehler, und ich werde diese Fehler erkennen und dich schachmatt setzen. Und wenn es nur ein einziger Fehler ist, ich werde ihn sehen, du Monster, du Bestie, du Unmensch.
Er erschrak, als Nadine ihm auf die Schulter tippte. »Sag mal, willst du den Sack kaputtschlagen?«
»Und wenn?«, keuchte er.
»Es ist fast eins, du bist schon seit über einer Stunde hier. Komm doch ins Bett und ruh dich aus. Susanne hat sich auch hingelegt.«
»Ich kann nicht schlafen.«
»Das kann ich verstehen. Aber wenn du müde bist, wirst du nicht klar denken können. Ich will doch auch, dass wir Julia lebend wiedersehen. Bitte.«
Hellmer hielt den Sandsack fest, drückte seinen Kopf dagegen und schloss die Augen. Nadine hat recht, dachte er, während sein Herz wie wild pochte.
»Okay, aber vorher spring ich noch mal schnell ins Wasser.«
»Ich warte auf dich.«
Er schwamm noch ein paar Runden im Pool. Um halb zwei legte er sich neben Nadine, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, und starrte in die Dunkelheit.
»Darf ich ein bisschen zu dir kommen?«, fragte Nadine.
»Hm.«
Sie legte ihren Kopf auf seine Brust, er streichelte sie.
»Wir haben lange nichts mit Julia unternommen«, sagte Nadine leise.
»Ich weiß.«
»Warum eigentlich nicht?«
»Keine Ahnung.«
»Es war doch früher immer so schön mit ihr. Ich weiß, dass es auch meine Schuld ist.«
»Es ist unsere Schuld. Ich hab mich ihr gegenüber in letzter Zeit auch nicht sonderlich anständig verhalten. Scheiße, Nadine«, sagte er, machte das Nachttischlämpchen an und drehte sich auf die Seite, »ich hab mich seit damals allen gegenüber wie der letzte Mensch verhalten. Wenn ich in den Spiegel schaue, könnt ich nur noch kotzen.«
»Frank, die Vergangenheit ist passe. Wenn ich dich sehe, sehe ich immer noch den Mann, in den ich mich verliebt habe. Ich sehe den Mann, mit dem ich zwei wundervolle Kinder habe. Ich …«
»Bitte spar dir das, denn ich sehe alles anders. Ich bin nicht mehr der alte Frank Hellmer, dazu hab ich viel zu viel kaputt gemacht. Ich …«
»Psst, es reicht. Hör auf mit dem Selbstmitleid, du bist ein phantastischer Ehemann und Vater. Was glaubst du, wie oft ich schon meine Koffer hätte packen können, um abzuhauen? Ich hab's nicht getan. Und warum nicht? Weil ich dich liebe und mit dir alt werden möchte. Du musst die Vergangenheit endlich loslassen. Die hängt wie so ein kleiner bissiger Teufel an dir und piesackt dich.«
»Und wie werde ich den los?«
»Das weißt du selbst am besten.
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