Mörderische Tage
Aber heute habe ich etwas an dir wiederentdeckt, von dem ich schon gedacht habe, du hättest es verloren …«
»Und was?«
»Deine Emotionalität. Du wirst Julia finden, und frag mich nicht, was mich da so sicher macht, ich weiß es einfach. Und wenn du sie gefunden hast, dann werden wir ein Riesenfest für sie veranstalten.«
»Den Gedanken hatte ich auch schon. Ich hoffe nur, wir
müssen das Fest nicht in einer Trauerhalle feiern.«
»Hör doch auf, so pessimistisch zu sein. Und jetzt versuch zu schlafen, du hast wieder einen anstrengenden Tag vor dir. Ich liebe dich.«
»Ich dich auch. Schlaf gut.«
Er ging noch einmal in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken, ballte danach die Fäuste und dachte, ich werde dich kriegen, und wenn ich dich dafür bis ans Ende der Welt jagen muss. Und wenn ich selbst dabei draufgehe.
Er legte sich wieder hin, Nadine war bereits eingeschlafen. Seine Gedanken waren bei Julia, wie es ihr wohl ging, was sie machte, ob sie körperlichen oder seelischen Qualen ausgesetzt war, ob ihr Peiniger sie in Isolationshaft hielt oder ob er sie gut behandelte, weil sie ein besonderes Opfer war.
Ich werde dich kriegen, du verdammter Hurensohn, und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben mache. Julia ist meine Partnerin, und niemand nimmt mir meine Partnerin ungestraft weg. Wer immer du bist, du kannst dich nicht ewig verstecken, denn ich werde dich finden. Und dann bist du fällig. Ich werde eröffnen, und ich bin gespannt, wie du darauf reagierst.
Samstag, 21.50 Uhr
»Kommst du voran?«, fragte er, beugte sich zu ihr hinunter und umarmte sie.
»Geht so. Es ist eben etwas anderes, als ein Fachbuch zu verfassen. Aber ich bin zufrieden. Wenn du mich jetzt bitte weitermachen lassen würdest, Liebling.« Es klang weniger wie eine Bitte als wie eine Aufforderung, fast wie ein Befehl, sie endlich allein zu lassen.
»Schon gut, ich weiß, du hasst Unterbrechungen. Genau wie ich. Außerdem muss ich auch noch arbeiten. Es nimmt einfach kein Ende.«
»Hm«, murmelte sie nur, berührte kurz seine Hand und wischte sie von ihrer Schulter. »Lass mich jetzt, ich bin gerade gut drin. Tschüs und bis nachher oder bis morgen.«
»Tschüs. Und denk daran, ich liebe dich«, sagte er an der Tür und zog sie hinter sich zu, ohne dass sie darauf reagierte.
Endlich ist sie wieder beschäftigt, dachte er erleichtert, ihre fast dreiwöchige Schreibpause hatte ihn etwas nervös gemacht, hatte sie doch zeitweise wie eine Klette an ihm gehangen. Aber nun, wo sie wieder an ihrem speziell für Sehbehinderte und Blinde ausgestatteten PC saß, war seine Welt wieder in Ordnung.
Rahel hatte nicht gefragt, wohin er musste, sie hatte nicht einmal ihren Kopf in seine Richtung gedreht, wie sie es sonst selbst unter Stress tat. Andererseits wusste er, dass sie ihr Buch in spätestens drei Wochen abgeben wollte, obwohl sie keinen festen Abgabetermin hatte. Doch sie war so ehrgeizig, dass sie alles tun würde, um den sich selbst gesteckten Termin einzuhalten.
Kurz darauf parkte er sein Auto am alten Reiterhof und ging durch das ausgedehnte Brennnesselfeld und das dichte Gebüsch zu seinem Ort, dem Ort, der ihm nicht zufällig, sondern durch Fügung geschenkt worden war. Er hatte ihn entdeckt und sofort einen Plan gehabt. Das lag dreiundzwanzig Jahre zurück. Erst hatte er die verrostete Eisentür entdeckt, die in den Fels eingepasst worden war – wann, konnte er damals noch nicht wissen. Doch ab da unternahm er alle nur erdenklichen Anstrengungen, um es herauszufinden. Wann immer sich die Gelegenheit bot, durchwühlte er die Sachen seines Vaters, und als er dort nicht fündig wurde, die seines Großvaters. Und schließlich kam der Tag, an dem er von seinem Großvater erfuhr, dass noch vor der Französischen Revolution auf dem heutigen Gelände des Reiterhofs ein Gefängnis errichtet worden war, das im wahrsten Sinne des Wortes in Stein gehauen war.
Ob er schon mal in diesem Gefängnis gewesen sei, hatte er seinen Großvater gefragt. Der antwortete zunächst nicht, sondern trank in Ruhe einen Cognac und rauchte seine Pfeife. Aber der damals vierzehnjährige Junge hatte nicht lockergelassen und gefragt, ob es denn einen Schlüssel für die Eisentür gäbe, woraufhin sein Großvater ihn lange und durchdringend angesehen und schließlich genickt hatte.
»Ja, mein Junge, es gibt noch einen Schlüssel, den du allerdings nie zu Gesicht bekommen wirst. Noch vor meinem Tod werde ich ihn vernichten, denn auf
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