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Mörderische Tage

Mörderische Tage

Titel: Mörderische Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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diesem Gefängnis lastet ein Fluch, und es heißt, wer dieses Gefängnis noch einmal betritt, wird von diesem Fluch unweigerlich getroffen. Und da ich nicht weiß, wann Gevatter Tod mich holt, werde ich ihn noch in dieser Woche zerstören.« Seine matten blauen Augen ruhten auf dem Jungen, während er fortfuhr: »Ich verrate dir noch ein Geheimnis: Nicht einmal dein Vater weiß von diesem Ort, und du musst mir versprechen, ihm nie von unserer Unterhaltung zu berichten. Versprichst du es mir?«
    »Ja, Opa«, antwortete er artig. »Aber erzähl mir doch wenigstens, was es mit diesem Gefängnis auf sich hat.«
    »Das ist eine sehr lange Geschichte, und ich bin müde. Aber du kennst doch Napoleon, oder? Den habt ihr in Geschichte sicher schon durchgenommen.«
    »Klar. Sogar alle drei.«
    »Gut. In der napoleonischen Ära erlebte dieses Gefängnis seine grausame Blütezeit. In den Aufzeichnungen ist vermerkt, dass Tausende von Gefangenen hierhergebracht wurden und nur wenige lebend wieder herauskamen. Es heißt, die Schreie wurden sogar noch draußen vernommen, solche Qualen wurden den Gefangenen zugefügt. Angeblich wusste kaum jemand der normalen Bevölkerung von diesem Ort des Grauens, wie die Menschen zu allen Zeiten nur wenig über die wahren Greueltaten wissen, die sich in ihrer Umgebung abspielen. Am einunddreißigsten Dezember 1848 wurde es geschlossen, aber nicht vernichtet. Heute sind Büsche und Bäume darüber gewachsen, Efeu hat sich seinen Weg gebahnt und die Geschichte ein für alle Mal unter sich begraben.«
    »Aber ich habe es wiederentdeckt«, sagte der Junge stolz.
    »Es ist nicht wert, wiederentdeckt zu werden, denn die Geschichte dieses Gefängnisses ist unweigerlich mit der Geschichte unserer Familie verbunden. Es ist ein Schandmal auf unserem Grund und Boden, und ich schäme mich für meine Vorfahren, dass sie den Bau nicht nur zugelassen, sondern auch noch finanziell unterstützt haben. Vergiss dieses Gefängnis und sprich mit niemandem darüber, auch nicht mit deinem Vater. Ich möchte, dass du es mir in die Hand versprichst«, hatte er gesagt und die Hand ausgestreckt.
    »Ich verspreche es«, hatte der Junge geantwortet und die alte knochige Hand seines Großvaters gedrückt.
    »Ich vertraue dir, mein Junge, so wie ich zeitlebens deinem Vater vertraut habe. Und jetzt lass mich allein, ich möchte mich ausruhen.«
    In den folgenden Tagen hielt er sich öfter als sonst in der Nähe seines Großvaters auf, und an einem Abend, als er vorgab, ins Bett zu gehen, beobachtete er heimlich den alten Mann, wie er einem Buch einen großen rostigen Schlüssel entnahm und damit zu einer Stelle hinter dem Haus ging, wo er mit einem Spaten ein Loch aushob und den Schlüssel darin vergrub.
    Ha, ich weiß, wo der Schlüssel ist, dachte er triumphierend und ging zu Bett. Er konnte nicht einschlafen, weil er unentwegt darüber nachdachte, wie er an das Objekt seiner Begierde gelangen könnte.
    Sein Großvater starb noch in jener Nacht, er war die Treppe hinuntergestürzt, wie man vermutete, wahrscheinlich, als er sich eine neue Flasche Cognac oder Wein holen wollte. Seit seine Frau ein Jahr zuvor an einem Schlaganfall gestorben war, trank der alte Mann mehr, als ihm guttat. Eine alte steinerne Treppe war ihm nun zum Verhängnis geworden. Dass jemand diesem Verhängnis nachgeholfen haben könnte, auf diese Idee kam keiner.
    Er war ein alter Mann gewesen, wenn auch erst achtundsechzig, aber in den Augen eines Vierzehnjährigen war das steinalt. Den Schlüssel holte er sich, als niemand zu Hause war, und begab sich noch am selben Abend zu der verrosteten Eisentür, die sich nur unter Aufbringung all seiner Kraft öffnen ließ. Was er zu sehen bekam, raubte ihm den Atem. Spinnweben überall, der durchdringende muffige Geruch der Jahrhunderte, die Steintreppe, die halb verfallenen Zellen, die Folterwerkzeuge … Und seither war dieses alte Gefängnis eine Art zweite Heimat für ihn. Ein Ort, den niemand außer ihm kannte. Und da er wusste, aus welchem Buch sein Großvater den Schlüssel genommen hatte, wusste er auch, wo er am ehesten alte Aufzeichnungen finden würde. Er wurde tatsächlich fündig und versteckte sie in dem Gefängnis.
    Jahre vergingen, und er begann, das historische Gemäuer zu säubern und Ausbesserungen vorzunehmen, bis er vor knapp zehn Jahren zehn Zellen so umbauen ließ, dass sie seinen persönlichen Vorstellungen entsprachen. Er hatte dafür zwei alleinstehende Polen angeheuert, die auf der

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