Mörderische Tage
können.«
»Dann bis Mittwoch. Und lassen Sie sich ein Antidepressivum verschreiben, am besten dieses hier«, sagte sie und gab Jung einen Zettel, auf dem der Name des Medikaments stand, »das empfehle ich aus Überzeugung, weil es schon einigen meiner Patienten geholfen hat.«
»Ich werde es mir besorgen. Und nochmals vielen Dank.« Jung reichte Alina Cornelius die Hand und sah sie über den Rand seiner Brille hinweg an. »Ich wusste von Anfang an, dass ichbei Ihnen in guten Händen bin. Ich werde alles befolgen, was Sie mir auftragen, das verspreche ich.« Dabei lächelteer zum ersten Mal an diesem Spätnachmittag.
»KommenSie gut nach Hause und … lassen Sie den Whiskey im Schrank stehen.«
Vom Fenster aus sah sie, wie er in seinen Porsche stieg und langsam vom Hof fuhr. Sie machte sich noch einige Notizen, stecktedas Geld ein und führte anschließend ein kurzes Telefonat.
Tausendfünfhundert Euro für drei Sitzungen, mehr als das Vierfachedessen, was sie normalerweise von ihren Privatpatienten verlangte. Im August letzten Jahres hatte sie diese Praxisin Frankfurt-Höchst von einem Kollegen übernommen, der in den Ruhestand getreten war. Bereits nach einem Monat hatte sie einen vollen Terminkalender gehabt, zu ihrem Angebot zählten Familienaufstellungen nach Hellinger, Partner- und Familientherapien, Hypnosetherapie sowie Therapien bei Depressionen, Ängsten, Psychosen und Neurosen.Manche ihrer Patienten konnte sie jedoch nicht behandeln, sie brauchten stationäre Betreuung, aber soweit es sich vermeiden ließ, schickte sie sie nicht in die Klinik vor Ort, wo vor allem die geschlossene oder – wie sie jetzt genannt wurde – geschützte Abteilung der Psychiatrie wie vor dreißig oder vierzig, vielleicht auch fünfzig Jahren geführt wurde. Sie war einige Male dort gewesen und hatte mit eigenen Augen gesehen, wie die Patienten dort behandelt
wurden. Zum großen Teil unfreundliches Personal, Ärzte, die sich in ihren abgeschlossenen Zimmern verbarrikadierten oder auf anderen Stationen ihren Dienst versahen, mit Medikamenten ruhiggestellte oder gar fixierte Patienten und Patientinnen. Ein feldwebelartiger Ton einiger Pflegerinnen, die dieseBezeichnung nicht verdienten. Sie war entsetzt gewesen, hatte versucht, mit den verantwortlichen Ärzten zu sprechen,doch sie war wie ein kleines Kind mit den Worten
abgewimmelt worden, sie solle sich nicht in Dinge einmischen, von denen sie keine Ahnung habe. Sie hatte gelacht und gesagt, sie habe ein Psychologiestudium abgeschlossen, erntete aber nur abfällige Blicke und den markanten Spruch, man wisse schon, wie man mit den Patienten zu verfahren habe, schließlich habe man sehr viel Erfahrung.
Seit ihrem letzten Besuch bei einer ehemaligen Patientin, deren zunehmender körperlicher und psychischer Verfall nicht zu übersehen war (sie hatte versucht, mit ihr zu sprechen, doch sie starrte nur ins Leere), was sie gegenüber einer Ärztin beklagte, hatte sie Hausverbot. Und ihr waren die Hände gebunden, eine Klinik hatte eben mehr Macht als der Einzelne, auch wenn dieser Einzelne selbst Psychologe und Therapeut war. In ihren Augen wurden in dieser Klinik die Patienten nicht therapiert, sondern mit Medikamenten vollgestopft. Ein unsäglicher Zustand, gegen den sie nichts unternehmen konnte. Sie hatte Kontakt zu mehreren Zeitungen gesucht, doch keine interessierte sich für ihre Geschichte, da dieser Stoff ihnen zu heiß war. Und sie hatte mit anderen Psychologen Kontakt aufgenommen, aber keiner von ihnen wollte sich mit dieser Psychiatrie anlegen. Nur einer, der seit über dreißig Jahren eine Praxis betrieb, hatte eingeräumt, sehr wohl über die Zustände Bescheid zu wissen, aber es gebe kein Mittel, um gegen diese Abteilung vorzugehen, er habe es selbst vor längerer Zeit versucht und sei genau wie Alina Cornelius gescheitert.
So versuchte sie seit über einem halben Jahr, die von ihr nicht therapierbaren Fälle in einer der umliegenden Kliniken im Main-Taunus-Kreis unterzubringen, und wer über genügend Geld verfügte, konnte sich auch in einer Privatklinik behandeln lassen.
Etwa ein Drittel ihrer Patienten waren Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfer, von denen die meisten dieses seelische Trauma seit ihrer Kindheit oder Jugend mit sich herumschleppten. Gebrochene Menschen, die sich in der Regel nach außen nichts anmerken ließen, aber in ihrem Inneren herrschte das blanke Chaos. Unter diesen Opfern befanden sich auch zwei Männer, einer von ihnen Mitte
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