Mörderische Tage
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»Okay, was also könnte Frau Uhlig, Frau Schweigert und Frau Slomka miteinander verbinden? Wir wissen, dass sie sich nicht kennen beziehungsweise kannten und sich, wie es scheint, auch nie begegnet sind. Und doch haben sie etwas gemein, und das haben wir bis jetzt übersehen … Erstens«, sagte sie und schrieb ihre Stichworte an die Tafel, »alle führen oder führten ein unauffälliges Leben. Zweitens, sie pflegten kaum Kontakte zur Umwelt beziehungsweise nur die, die unbedingt nötig waren. Obwohl die Schweigert Studentin war, hatte sie weder einen Freund noch eine Freundin, nur Kommilitonen, mit denen sie sich hin und wieder traf. Unsere Befragungen haben ergeben, dass sie sehr zurückhaltend war und in ihrem Studium aufgegangen ist …«
»Wenn ich unterbrechen darf«, sagte Kullmer, doch er wurde von Durant mit einer Handbewegung am Weitersprechen gehindert.
»Wir können gleich über alles reden, lass mich nur schnell die restlichen Punkte aufführen. Drittens, alle drei werden als introvertiert beschrieben, das heißt, niemand außer höchstens einer Person weiß oder wusste über das Innenleben des Opfers Bescheid. Viertens, keine Affären, keine Liebschaften, alles sauber, fast hygienisch rein. Und fünftens, und das ist für mich einer der wesentlichen Punkte, alle besuchten bis zu ihrem Verschwinden praktisch jeden Sonntag die Kirche, gingen zur Beichte und spendeten auch regelmäßig für wohltätige Zwecke. Alle sind katholisch und leben nach christlichen Werten.«
Sie machte eine Pause und sah in die vier Gesichter, die ihr aufmerksam zugehört hatten.
»Darf ich jetzt einen Kommentar abgeben?«, fragte Kullmer schmunzelnd.
»Bitte.«
»Die Slomka ist doch alles andere als ein Kind von Traurigkeit. Sie hat unzählige Kontakte und kann nach meinem Dafürhalten nicht als introvertiert bezeichnet werden. Sie passt nicht ins Schema, das musst du zugeben.«
»Dem stimme ich zu«, pflichtete Hellmer bei.
»Ich auch«, sagte Doris Seidel.
»Chef?« Durant sah Berger an.
»Ich enthalte mich lieber, denn ich denke, Sie haben noch was in der Hinterhand.«
»Vielleicht. Die Slomka ist Apothekerin und hat täglich mit vielen Kunden zu tun. Dass sie malt, Kurzgeschichten schreibt und Geige in einem Kammerorchester spielt, wissen wir. Aber das ist noch längst kein Kriterium, ob jemand introvertiert oder extrovertiert ist. Wie viele Personen haben wir in ihrem Fall befragt? Es dürften so an die vierzig gewesen sein. Hat irgendwer außer ihrer Mutter uns etwas über ihr Privatleben oder ihre Kontaktfreudigkeit berichten können? Ihre Kollegen aus der Apotheke wussten so gut wie nichts von ihrem Privatleben. Nehmen wir zum Beispiel, wie sie sich fühlte, als ihr Mann an Krebs erkrankte und starb. Wie ist es ihr ergangen in den zwei Jahren, als es ihrem Mann zunehmend schlechter ging? Wer konnte uns etwas über ihr Gefühlsleben sagen? Niemand außer ihrer Mutter, und auch da bin ich mir nicht sicher, ob sie ihr wirklich alles erzählt hat, was in ihr vorging. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass sie niemanden an ihrer Trauer hat teilhaben lassen, auch die Aussagen der Mutter sind recht vage. Ich bin davon überzeugt, dass die Slomka mit ihrer Mutter längst nicht über alles reden konnte. Ihr habt die Frau doch auch kennengelernt, die hat mit ihren kleinen Wehwehchen zu kämpfen und lamentiert ständig über ihr Schicksal, was sie machen soll, wenn sie jetzt alleine ist, was mit dem Jungen werden soll, sie sei doch schließlich schon so alt … Dabei ist die werte Dame gerade mal Anfang sechzig. Ich bin der Meinung, auch die Slomka fällt in die Kategorie introvertiert, mal abgesehen davon, dass sie einmal pro Woche mit drei Damen aus dem Orchester in eine Bar gegangen ist. Aber hat sie denen wirklich etwas von sich erzählt? Nein. Sie hat auch nie eine Freundin zu sich nach Hause eingeladen oder ist zu einer Freundin zu Besuch gegangen. Und warum? Ganz einfach, weil sie keine Freundin hat. Das ist doch ziemlich eindeutig, oder? Nehmen wir die Uhlig. Ein Ass im Beruf, aber auch sie hat niemanden an sich rangelassen außer einer einzigen Freundin. Die Uhlig ist beruflich viel gereist, musste Verhandlungen führen, dennoch war sie einsam. Angeblich hat sie seit der Scheidung keinen Mann mehr gehabt, und ganz ehrlich, eine attraktive Frau, die fast fünfzehn Jahre lang ohne Mann auskommt …«
»Vielleicht ist sie lesbisch«, warf Kullmer ein.
»Deutet irgendetwas in ihrer Wohnung darauf
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