Mörderische Tage
einmal tief durch und sagte: »Sie haben's mitgekriegt. Ich hoffe, die Akten existieren noch. Die Nitribitt wird man auch in hundert Jahren noch im Archiv finden, aber ob Gernot noch existiert, können die nicht sagen«, stieß er ärgerlich hervor. »Wie auch immer, jedenfalls war ich noch ganz frisch bei der Kripo und ermittelte vor dreiunddreißig Jahren in diesem Fall mit. Ich rekonstruiere das jetzt mal aus dem Gedächtnis. Dieser Dietmar Gernot hatte eine Art Museum in seinem Keller eingerichtet mit Körperteilen, aber auch Utensilien seiner Opfer. Kleidung, Schmuck, Haare, Haut und Augen …«
»Augen?«, wurde er von Seidel unterbrochen.
»Ganz genau. Er hat seinen ersten beiden Opfern die Augen herausgeschnitten und in einem Glas konserviert. Aber das war längst nicht alles. Der ganze Raum war ein einziger Trophäenschrein. Ein wahres Gruselkabinett, das keinen von uns kaltließ. Damals dachte ich, wenn die Arbeit bei der Mordkommission immer so aussieht, will ich in eine andere Abteilung versetzt werden. Es hat mich eine Menge Überwindung gekostet, ich war schließlich erst vierundzwanzig Jahre alt.« Er hielt inne, als müsste er seine Gedanken sortieren, und fuhr dann fort: »Möglich, dass ihn jemand kopiert. Denn Gernot hat damals seine ersten beiden Opfer genauso bestialisch umgebracht, wie unser jetziger Täter es mit Weiß und Peters gemacht hat. Das dritte Opfer hatte Messerstiche und eine durchgeschnittene Kehle, war aber ansonsten unversehrt. Nach dem Ausbluten hat er die junge Frau sorgfältig gewaschen und dann abgelegt, wie Weiß und Peters. Seine ersten beiden Opfer waren auch gefesselt, und zwar waren die Arme mit den Beinen verbunden. Es handelte sich um einen sehr komplizierten Knoten, wie ihn keiner von uns jemals zuvor gesehen hatte … Dass mir das nicht früher eingefallen ist! Aber ich bin auch der Einzige, der von damals noch im Dienst ist, alle andern aus der Ermittlungseinheit befinden sich entweder im Ruhestand oder sind verstorben.« Er trank einen Schluck Wasser, doch seine Stimme klang immer noch trocken und kehlig: »Hier kopiert tatsächlich einer einen lange zurückliegenden Fall, an den sich kein Schwein mehr erinnert, weil die Opfer eben nur Leute von nebenan waren und die Presse schon sehr bald aufhörte, darüber zu berichten. Frau Durant, ich wäre nicht darauf gekommen, hätten Sie nicht die Details an die Tafel geschrieben. Mein Kompliment.«
»Wo ist Gernot jetzt?«, wollte sie wissen, ohne auf das Lob einzugehen, auch wenn ihr diese verbale Streicheleinheit guttat.
»Er ist tot. Er wurde schon kurz nach dem Prozess von Mithäftlingen getötet.«
»Und wie viele Morde gingen auf sein Konto?«, wollte Durant wissen.
»Offiziell drei, weil wir nur drei Leichen gefunden haben. Aber laut eigener Aussage hat er neun Menschen umgebracht, erst einen Mann, danach nur noch Frauen. Er hat genau geschildert, wo er die Frauen abgelegt hat, wir haben sie jedoch an keiner der angegebenen Stellen gefunden. Das Problem ist, dass die anderen sechs potenziellen Opfer noch heute als vermisst gelten. Aus diesem Grund ist es nicht nur möglich, sondern durchaus wahrscheinlich, dass Gernot ihr Mörder ist, er uns aber falsche Informationen gegeben hat oder sich nicht mehr richtig erinnern konnte. Letzteres halte ich allerdings für sehr unwahrscheinlich, da er weit über-durchschnittlich intelligent war, wie unsere Gutachter bestätigten, und ein hervorragendes Gedächtnis hatte …«
»Wurde er einem IQ-Test unterzogen?«, fragte Durant schnell.
»Ja, daran kann ich mich sogar noch ziemlich gut erinnern, weil wir alle total überrascht waren. Sein IQ betrug knapp hundertsechzig. Es gibt nur eine Handvoll Menschen auf der ganzen Welt mit einem derartigen IQ. Dazu war er ein exzellenter Schachspieler, der es leicht mit der Weltelite hätte aufnehmen können, wie uns von Experten bestätigt wurde. Aber Gernot war nicht daran interessiert, ein weltberühmter Schachspieler zu sein, seine Leidenschaft galt dem Quälen und Morden. Vermutlich wollte er uns mit seinen Fehlinformationen nur in die Irre führen und sein seltsames Spiel weiterspielen, in der Hoffnung, wir würden uns weiter mit ihm beschäftigen. Als er nach dem Urteil aus dem Gerichtssaal geführt wurde, grinste er uns an und flüsterte unserem damaligen Chefermittler Koch etwas ins Ohr. Was, das hat Koch nie verraten, ich weiß nur, dass er danach kalkweiß und lange nicht ansprechbar war.«
»Und es gab auch keine
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