Mörderisches Musical
Uhr?«
Wetzon nickte, nahm ihr Ringbuch und trug den
Termin ein. »Danke, Sonya.« Sie schlüpfte in den Mantel und setzte die
Baskenmütze auf.
»Da du gerade dein Buch draußen hast, am
Nachmittag des ersten April, hast du da Zeit für mich? Es ist ein Donnerstag.«
Wetzon blätterte die Seiten durch. »Der erste
April?« Die Seite war leer. »Paßt bei mir. Um wieviel Uhr?«
»Halte den ganzen Nachmittag frei.« Sie war sehr
ernst.
»Den Nachmittag? Den ganzen Nachmittag?«
»Ja. Ich sage dir mehr, wenn das Datum
näherrückt.«
»Okay.« Sie schrieb freihalten — Sonya in das Feld des ersten April und
ließ das Buch in die Handtasche fallen. An der Tür sagte sie mehr zu sich als
zu Sonya: »Ich habe Susans Hund. Seit ich ein Kind war, habe ich keinen Hund
mehr gehabt.«
»Du brauchst ihn nicht zu behalten«, meinte
Sonya.
»Doch, ich will ja«, sagte Wetzon langsam. »Ich
glaube, ich brauche ihn genauso wie er mich.«
»Bedingungslose Liebe.«
Bedingungslose Liebe. Wetzon dachte über die Worte nach, während sie
zum Beresford zurückging. Das Wetter war wieder umgeschlagen, und ein Schwall
arktischer Luft war von Kanada über die Stadt hereingebrochen. Die Kälte war
angenehm. Wetzon war sich ihrer selbst intensiv bewußt, jedes Muskels, jeder
Ader, ihres Herzschlags, des Atems, der durch ihre Lungen strömte.
Der jähe Temperatursturz hatte die meisten Leute
im Regenmantel überrascht, nicht jedoch Wetzon. Über ihr, getrieben von kalten
Böen, jagten dunkelblau geränderte Wolken über den Himmel.
Sie ging auf der 79. Street zur Amsterdam
hinüber und marschierte in östlicher Richtung. Carlos ging es gut. Um ihn
brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Und sie, Leslie Wetzon, Headhunterin
der Extraklasse und Gelegenheitsdetektivin, würde Alton Pinkus heiraten, den
vollkommenen Mann, und von nun an glücklich leben. Selbstverständlich.
Und was ist mit Mark? fragte sie sich, während
sie den Schlüssel ins Schloß steckte. Auf der anderen Seite der Tür bellte Izz
sich die Lunge aus dem Leib. Mark konnte niemanden ermordet haben. Und damit
Schluß. Jeder Beweis, daß er es gewesen war, konnte nur ein Indizienbeweis
sein.
»Ich bin in der Küche«, rief Alton.
Sie hängte den Mantel auf, ließ Mütze und Tasche
auf den Flurtisch fallen. In der Küche gab sie ihm einen Kuß auf die Wange.
Sie schnupperte. »Riecht phantastisch, was immer
es ist.«
»Gedünstete Muscheln, Pasta mit Tomaten,
Basilikum und Fenchelsoße, Sauerteigfladen und Schokoladenkuchen. Es wird mir
Spaß machen, dich zu mästen.«
Ein winziger Summer ging in ihrem Kopflos.
Versuchte er, ihr Leben in die Hand zu nehmen? »Ich bin so richtig, wie ich
bin.«
»Leslie...«
»Nein, ist schon gut. Mein Fehler.«
»Anstrengende Sitzung?«
»Mir hat’s gereicht.« Wollte er, daß sie ihm
davon erzählte? Wie konnte sie preisgeben, daß sie nach so vielen Jahren den
Flammentod ihrer Eltern immer noch nicht bewältigt hatte? Daß sie glaubte, sie
würde stets von jedem, den sie liebte, verlassen werden? Das war es doch,
nicht? Und dann plötzlich begann sie zu erzählen, und er hielt sie fest und
strich über ihr Haar.
»Ich werde dich niemals verlassen. Das weißt du
doch.«
Sie wußte es, aber er war fast zwanzig Jahre
älter als sie. Es war unumgänglich, daß er sie im Stich lassen würde. An diesem
Abend gingen sie und Izz zu ihrer Wohnung.
Alton hatte gesagt: »Ich hätte ein besseres
Gefühl, wenn du hier bliebest.«
Und sie hatte geantwortet: »Noch nicht. Außerdem
sollte Izz sich an meine Wohnung gewöhnen.«
Die Streikposten der Gewerkschaft hatten
offenbar Feierabend gemacht, weil keiner zu sehen war. Niemand versah drinnen
den Wachdienst, und die Außentür war abgeschlossen. Sie holte ihre eigenen
Schlüssel heraus und schloß auf. Ein Anschlag neben dem Aufzug teilte mit, daß
keine Pakete zur Zustellung angenommen würden, bis der Streik vorbei wäre.
Schön. Sie erwartete keine.
Während sie ihre Post aus dem Kasten holte und
die Times vom Sonntag an sich nahm, die auf einem hohen Stapel bei den
Zeitungen aller anderen Bewohner in der Halle liegengeblieben war, läutete
jemand an der Außenklingel. Izz rannte besitzergreifend an die Tür und bellte.
Wetzon schaute um die Ecke. Ein großer Mann in
einem zugeknöpften Rohledermantel stand da und bedeutete ihr, ihn einzulassen.
Sie schüttelte den Kopf und ging zum Aufzug. Sie hörte ihn an das Eisengitter
über der Tür hämmern, reagierte jedoch nicht
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