Mörderisches Musical
Haare
bis auf die Schultern. Wahrscheinlich war es der letzten Generation der Bühnenarbeiter
schwergefallen, sich dem Zeitalter der Computer anzupassen.
Carlos stand auf der Bühne und führte eine
Änderung in einer Tanznummer vor. Er machte einen ruhigen und selbstsicheren
Eindruck. Alles Gute, dachte sie. Sie konnte sich ihr Leben ohne Carlos nicht
vorstellen.
»Ich liebe diesen Teil der Arbeit, Sie auch?«
Sunny stand neben ihr, in der Hand ein Clipbrett mit einem Packen Blätter.
Heute trug sie braune Reithosen, Stiefel, ein blau-grünes Flanellhemd von Ralph
Lauren und ein Parfüm, das Wetzon kannte, eins, das sie früher verwendet hatte. Replique. Ein weicher hellbrauner Lederhut bedeckte ihr blondes Haar.
Wo haben Sie Ihr Pferd angebunden, war Wetzon in
Versuchung, sie zu fragen, doch sie sagte statt dessen: »Ich auch.« Wetzon
konnte die Erregung schmecken. Heute abend, soviel wußte sie aus Erfahrung,
würde fast alles funktionieren. Die meisten Mängel auf der technischen Seite
würden sich in nichts auflösen. Und dahinter würde die Produktion zum Vorschein
kommen, ob sie einem gefiele oder nicht. Es war wie ein Geburtsvorgang.
»Ich habe gehört, was heute morgen passiert
ist«, tuschelte Sunny, während sie mit einer Fingerspitze den Hut nach hinten
schob. »Mort ist leicht reizbar...«
»Das ist die Mutter aller Untertreibungen.«
»Ich will damit nur sagen, daß man es nicht zu
sehr aufbauschen soll. Sie und Carlos stehen sich nahe. Sie können dazu
beitragen, die Show durch diese Krise zu bringen. Und wir alle wissen, daß nur
die Produktion zählt. Wenn die Show ein Hit wird, vergißt jeder diese lächerlichen
kleinen Differenzen.«
»Lächerliche kleine Differenzen? Ich weiß. Aber
Mort tickt nicht richtig. Man müßte ihn einsperren.«
»Sie verstehen nicht, Leslie. Mort hatte alle
Hände voll mit Sam zu tun. Sam hat sich in seinem Zimmer eingeschlossen und
weigert sich, >Who’s that Killer?< umzuschreiben. Sam weiß genau, daß
Joclyn kein As treffen kann. Außerdem ist die Melodie bei Marvin Hamlisch
geklaut. Wenn wir damit starten, verklagt uns Hamlischs Anwalt bis aufs Hemd.
Und er hätte recht. Und jetzt macht Aline Theater und behauptet, Mort macht ihr
kostbares Buch kaputt.«
»Buch? Bei dieser Show geht es doch nicht ums
Buch, oder bin ich nicht im Bilde?« Verdammt, Mort kam mit Mark durch den
Mittelgang, und sie hielten sich an der Hand, aber nicht wie Vater und Sohn.
Wetzon setzte sich in Bewegung, vorsichtig, damit sie nicht über die Kabel
stolperte, die sich vom Computerpult mitten im Haus über den Boden
schlängelten. »Mark!« Sie winkte ihnen und versuchte, auf sich aufmerksam zu
machen, doch Mort war stehengeblieben, um JoJo etwas mitzuteilen, der, einen
Arm um Poppys Schulter, in der Mitte des Zuschauerraumes saß. Im selben
Augenblick war Wetzon klar, daß JoJo und Poppy ein Verhältnis hatten. Sie legte
das zu den Akten, um sich wieder dem aktuellen Problem zuzuwenden. »Mark...«
Mort gab Marks Hand nicht frei.
»Was ist los?« Sunny war ihr gefolgt. Hinter
ihnen hörte Wetzon Smith’ sprödes Lachen.
»Wir müssen Mark warnen, daß seine Mutter im
Haus ist«, sagte sie.
»Wer ist Mark?«
»Entschuldigung, Smitty.«
»Was? Was macht Smittys Mutter hier?« Sunny
wirkte verwirrt.
»Seine Mutter ist meine Geschäftspartnerin,
Xenia Smith, und Mark — Smitty - ist kaum siebzehn.« Sie versuchte, an Mort
vorbeizukommen. »Mark!« Verdammt, sie schrie beinahe...
»Weiß Mort Bescheid?« Sunny zupfte an Wetzons
Mantel und hielt sie fest.
Hol’s der Teufel. »Mark, paß auf. « Alles
um sie herum hielt inne, Gespräche und Arbeit. Alle Blicke waren auf Wetzon
gerichtet.
Endlich hob Mark den Kopf. Entweder hatte er
einen sechsten Sinn und spürte, daß seine Mutter da war, oder er hatte Wetzons
Warnung vielleicht doch gehört. Er entzog Mort seine Hand und steckte sie in
die Tasche. Es ging alles so schnell, daß sogar Mort verblüfft aussah, also
hatte Smith vielleicht nichts gesehen. Und selbst wenn, war es nicht so
schlimm. Es könnte völlig harmlos gewesen sein. Klar.
»Ist das nicht toll?« schwärmte Smith, die sie
eingeholt hatte. Es folgte einer jener sogenannten bedeutungsschwangeren
Augenblicke. Dann sagte Smith mit erstickter Stimme: »Baby?«
Wetzon beobachtete ihre Partnerin scharf. Smith’
Gesicht drückte überhaupt nichts aus.
»Mom.« Mark ging um Wetzon herum, um seine
Mutter zu begrüßen. Er war schon einen halben Kopf größer als
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