Mörderisches Musical
gegangen?«
»Ma...«
»Moment, Sarah Ann. Nein, das war später. Hör
zu, du hast doch gewußt — wie wir alle — , daß sie lesbisch war. Weißt du noch,
wie sie aus der Gruppe heraus bei CoCo befördert wurde? Nein, du warst
ja nicht bei CoCo .« Sie wartete Wetzons Antwort nicht ab, sondern feixte
plötzlich. »Ich habe halt seit Jahren mit keinem mehr über diese Zeit
getratscht.«
»Also wer hat den Mantel geschenkt?« Smith stieg
gerade aus dem Lift, eine pralle Kleidertasche in der Hand.
»Dieses große Tier — wie heißt er noch gleich —
dieser Generaldirektor. Dem alle zu Füßen lagen.«
In Wetzons Hirn flackerte ein Lämpchen auf.
»Lenny soundso.«
»Klar. Was für ein Gedächtnis. Lenny Käufer.«
Wetzon
zählte vierzehn in der Schlange vor der Kasse des Colonial, und vier
von ihnen lasen Morts Interview im Globe. Nicht a schlecht, wenn man
bedachte, daß die Show noch gar nicht lief.
Aber wie oft bekam Boston noch
Probevorstellungen vom Broadway? Wahrscheinlich nicht allzu häufig. Neuerdings
wollten viele Produzenten die Kosten eines Probelaufs außerhalb der Stadt nicht
mehr riskieren. Statt dessen veranstalteten sie wochenlang Voraufführungen in
New York, für die sie jetzt Karten zum vollen Preis verkauften, und die gesamte
Theatergemeinde kritisierte sie deswegen heftig. Aber vielleicht hatten sich
die Produzenten das selbst eingebrockt, weil sie in New York bereits den vollen
Preis verlangten, während an der Show noch gefeilt wurde.
Ein scharfer Bostoner Wind, der über den Common
fegte, rüttelte an den Türen zum Vorraum. Wetzon fröstelte, und sie ließ den
Mantel zugeknöpft.
Smith’ Nase war gerötet, und ihre Augen tränten.
»Hast du das Büro angerufen, Zuckerstück? Es ist schließlich Freitag, und wir
schwänzen.«
»Wann hätte ich das tun sollen? Wir sind
praktisch siamesische Zwillinge gewesen, seit du bei mir eingezogen bist.«
Smith’ Unterlippe verzog sich schmollend.
Mäßige dich, ermahnte Wetzon sich selbst. Denk daran, daß sie für zwei
weitere Nächte deine Zimmergenossin ist. Sie zwang sich, ihre Partnerin
anzulächeln. Sie und Smith schafften es zwar, trotz aller Differenzen
außergewöhnlich gut zusammenzuarbeiten. Das Problem war, daß Smith sie
außerhalb des Büros wahnsinnig machte. Wetzon brauchte das Alleinsein. Wäre
Carlos nicht gewesen, hätte sie den ersten Flug von Boston an diesem Morgen
genommen. »In der Nähe des Bühneneingangs gibt es ein Telefon. Ich rufe B.B. an
und frage nach, ob keine Katastrophe über uns hereingebrochen ist.« Doch Smith
hörte nicht mehr zu, sondern interessierte sich jetzt für irgendeinen Vorfall
auf der Straße. O Mann, sie verfügte über die Konzentrationsdauer eines Vierjährigen.
Durch die Ätzglasscheibe sah Wetzon, daß eine
silberne Limousine vor dem Theater vorgefahren war. Joel Kidde und Gideon
Winkler stiegen gerade aus.
»Da ist Joel.« Smith wedelte mit den Fingern und
strahlte. »Und Gideon.« Sie war eindeutig auf ein Abenteuer aus.
»Smith, wie geht es dem lieben Dickie Hartmann?«
fragte Wetzon. »Schade, daß er nicht zur Premiere hier sein kann.«
»Wer?«
Das war einmalig. Joel Kidde war auch einer
dieser mächtigen, attraktiven Männer, aber Richard Hartmann hatte noch weniger
Skrupel als selbst Agenten. Es wäre nicht klug, ihn zu unterschätzen. Wenn
Hartmann Smith wollte, würde er sie bekommen.
Vor einem Jahr, nach der Schießerei, hatte
Wetzon die Beweise, die Hartmann vom Anwaltsberuf ausschließen würden, in einen
versiegelten Umschlag gesteckt und an die stellvertretende Staatsanwältin
Marissa Peiser adressiert. Mit der Aufschrift »Im Falle meines Todes zu öffnen«
verwahrte sie ihn in ihrem Banksafe. Es war Zeit, sich darum zu kümmern und die
Sache zu erledigen.
Sie machte die Tür zum Foyer auf und betrat eine
völlig andere Welt. Hier herrschte das totale Chaos. Die Atmosphäre war
geladen. Überall arbeiteten Assistenten und Techniker in größter Eile. Hinter
der letzten Reihe befand sich die Klangregie mit den Mischpulten. Ein Techniker
mit Kopfhörern und Mikrophon redete und gestikulierte zu jemandem am
Beleuchtungsmonitor hinter der Bühne. Vermutlich war er der Elektromeister, der
ständig auf der Lohnliste des Produzenten stand und mit der Show reiste.
Früher waren die organisierten Elektriker,
Tischler und Requisiteure älter, weil sie ihren Beruf von der Pike auf gelernt
hatten, aber der Mann mit den Kopfhörern war in den Zwanzigern und hatte
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