Mörderisches Paradies
wetten.”
“Oh Gott!”, rief Amber plötzlich.
“Was denn?”, fragte Ben.
“Dad, vielleicht haben wir ja einen von ihnen heute gefunden. Eins von den Gespenstern!”
“Es ist doch nur eine Geschichte”, sagte Keith. “Du wolltest eine Gespenstergeschichte, also …”
“Nein, nein, da war wirklich ein Schädel. Jedenfalls dachten wir, es wäre einer”, erklärte Amber.
Ben stöhnte vernehmlich. “Mädels, eine von euch ist gegen eine große Muschel gestoßen. Da war kein Schädel. Schluss für heute mit den Spukgeschichten, okay?”, sagte er bestimmt.
Um Beths Mundwinkel zuckte es. Aber nicht, weil Ben verärgert klang, sondern weil sie sich plötzlich mehr fürchtete als je zuvor. Denn gerade hatte ihre Nichte herausposaunt, dass sie einen Schädel gefunden hatten.
Und irgendjemand, der mit ihnen hier auf der Insel war, hatte diesen Schädel entfernt. Aus Gründen, die mit Sicherheit etwas zu bedeuten hatten.
“In dieser Gegend neigt man dazu, sich solche Dinge auszumalen”, sagte Matt leichthin. “Ich verspreche euch, es gibt hier keine Gespenster.”
“Aber viele Spukgeschichten haben doch einen wahren Kern. Und in der Gegend gibt es jede Menge Schiffswracks. Ich wette, die Geschichte stimmt und die Gespenster haben sie Ihnen eingeflüstert”, sagte Amber zu Keith.
“Das ist aber eine gruselige Vorstellung!”, meinte Sandy und erschauerte.
“Ihr tut mir nur einen Gefallen damit, Mädels. Weiter so”, lachte Brad. Aber offenbar wollte er die angespannten Mädchen mit seiner Unbekümmertheit auch ein bisschen beruhigen.
“Ist das hier nicht außerdem das Bermudadreieck?”, fragte Amanda und stand auf. “Glücklicherweise bin ich kein bisschen abergläubisch.” Als sie sich dehnte, fiel ihr Keiths Hemd von den Schultern. Sie beugte sich graziös danach, um es aufzuheben, und lief – oder tänzelte – langsam auf Keith zu, um es zurückzugeben. “Außerdem”, fügte sie mit einem Lächeln hinzu, “haben wir eine Menge hübscher muskulöser Männer in unserer Nähe, die uns notfalls beschützen. Also, gute Nacht allerseits.”
Auch ihre Cousins und ihr Vater standen auf und verabschiedeten sich.
Die Gruppe löste sich auf, man lachte noch ein bisschen und verabredete sich für den nächsten Morgen.
Auf dem Weg zurück zu ihren Zelten schwieg Beth.
“Beth, fürchtest du dich vor Geistern?”, fragte Amber.
Beth schaute ein bisschen unsicher zu ihrem Bruder. “Vor den lebendigen schon”, sagte sie dann.
Ihr Bruder seufzte und schüttelte den Kopf. “So wie Kapitän Pierce habe auch ich eine Waffe dabei. Aber ich lasse niemanden nah genug heran, um sie gegen mich einzusetzen”, versicherte er.
Ein paar Minuten später hatten sich alle hingelegt. Ben und Beth lagen in ihren “Einzelzimmern” und die Mädchen in dem großen “Doppelzimmer”, das Ben seiner Tochter vor Kurzem gekauft hatte. Zwischen ihnen lagen nur ein paar Meter, und das Doppelzelt der Mädchen stand zwischen denen der Erwachsenen.
Amber und Kim ließen ein Licht an, und Beth ertappte sich bei dem Gedanken, dass die Batterie die Nacht über halten möge. Durch die Zeltplane hörte sie die Mädchen kichern, wahrscheinlich erfanden sie neue Spukgeschichten. Zur Beruhigung sagte sie sich, dass die Menschen die Dunkelheit nun einmal nicht mochten und sich von Schatten verunsichern ließen, vom Geräusch des Windes und von ersponnenen Geschichten, die man sich am Lagerfeuer erzählte.
Es ist nur eine Geschichte, sagte sie sich. Eine gute Geschichte, spontan ausgedacht und erzählt.
Und sie hatte sich davon nicht beeindrucken lassen. Nicht von dieser lächerlichen, wenn auch traurigen Geistergeschichte.
Aber trotzdem hatte sie Angst.
Trotz ihrer Furcht schlief sie irgendwann ein. Ihre Träume wirbelten zusammenhanglos in ihrem Kopf, Bruchstücke von Unterhaltungen, Erscheinungen, die vor ihr tanzten, aber keine rechte Form annahmen, bis vor ihrem inneren Auge ein wunderschönes Mädchen in Kleidern des 18. Jahrhunderts auftauchte, dazu ein gut aussehender Spanier und ein Kapitän, beide mit Schwertern in den Händen …
Der Kapitän – beeindruckend, aufregend und männlich – kam ihr zunehmend bekannter vor … Keith Henson.
Leider sah das hübsche junge Mädchen selbst im Traum wie Amanda aus.
Während der Traum weiterging, wälzte sie sich unruhig hin und her.
Und dann hörte sie, wie die Brise auffrischte, wie es im Gehölz raschelte …
Weil Beth plötzlich Panik ergriff, wachte sie auf.
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