Mörderisches Paradies
sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Für den Prospekt brauchte sie noch ein Foto von Maria Lopez, aber das sollte sich im Internet mühelos finden lassen. Vorher rief sie Maria an und fragte sie um die Erlaubnis für einen Abdruck.
Kurz danach fand sie ein tolles Foto, und eine Stunde später war der Flyer druckfertig und Beth hochzufrieden mit ihrer Arbeit. In diesem Moment tauchte ihr Bruder in der Tür auf, mit seiner Tochter im Schlepptau.
“Wusstest du, dass die Mädchen herkommen würden?”, fragte er leicht verärgert.
Das Flehen in Ambers Augen war nicht zu übersehen.
Weil sie nicht offen lügen wollte, um die Mädchen in Schutz zu nehmen, zögerte Beth einen Moment. “Sie stellen doch nie etwas an, Ben”, sagte sie dann und sah Amber an. “Fast nie”, fügte sie mit einem zweideutigen Lächeln hinzu.
Ihr Bruder entspannte sich sichtlich. Und sie hatte nicht gelogen, wenn sie auch nicht gerade die Wahrheit erzählt hatte.
“Na gut, aber ich möchte informiert werden, wenn du früher Schluss hast”, erklärte er seiner Tochter.
“Dad”, sagte Amber, und in ihrer Stimme lag eine leichte Anklage. “Du hast doch meinen Stundenplan, aber du kümmerst dich halt nicht immer darum.”
Da klappte Ben der Mund auf und wieder zu. “Ja, ich habe deinen Stundenplan”, sagte er dann schroff, drehte sich um und ging hinaus.
Beunruhigt sah Amber ihm nach, weil er immer noch sauer schien. Aber Beth wusste es besser. Er hatte nur wieder einmal das Gefühl, als Vater versagt zu haben.
Nun schaute Amber wieder Beth an, und in ihren Augen schimmerten Tränen. “Es tut mir leid, Tante Beth. Es tut mir so leid.”
“Mach das nicht noch mal”, sagte Beth sanft. “Und dein Vater würde alles für dich tun. Zeig ihm ruhig mal ein bisschen Dankbarkeit.”
Kim legte einen Arm um ihre Freundin, und die beiden marschierten hinaus.
“Hey!”, rief Beth hinter ihnen her. “Kim – wie steht’s? Soll ich dich nachher zu Hause vorbeibringen oder kommt dich jemand abholen?”
“Ich werde um halb sechs beim Pförtner abgeholt”, erklärte Kim. “Aber danke”, fügte sie schnell noch hinzu.
“Gut”, murmelte Beth. “Amber, wenn Kim abgeholt wird, suchen wir deinen Dad und essen noch etwas zusammen, bevor wir fahren, okay?”
Amber nickte und verschwand mit Kim.
Als sie den beiden nachschaute, vergaß Beth ihren Ärger. Tante sein ist nicht gerade leicht, überlegte sie. Aber was im Leben war schon wirklich leicht?
Sie lächelte schwach und machte sich wieder an die Arbeit. Und sie nahm sich vor, etwas mehr auf Ambers Stundenplan zu achten, als sie das bisher getan hatte.
Ben ärgerte sich nicht, sondern fühlte sich ausgelaugt. Eigentlich war er ein wirklich guter Vater. Aber beide Elternrollen auszufüllen, überstieg mitunter einfach seine Kräfte.
Er saß an der Strandbar und nippte an seinem Bier, als jemand hinter ihm plötzlich “Hi” sagte.
Mark Grimshaw. Als Jungen hatten sie gemeinsam segeln gelernt. Dann gingen sie zum Jurastudium in den Norden und traten anschließend, wie schon ihre Väter vor ihnen, in den Jachtclub ein.
“Selber hi.”
“Ich bin mit ein paar Freunden unten am Pool. Nicht nur Juristen, versprochen. Willst du nicht zu uns kommen?”
Entschuldigend hob Ben sein Bier. “Meine Tochter ist da. Wir werden noch eine Kleinigkeit essen und dann nach Hause fahren.”
“Aber es ist doch noch früh. Abendessen gibt es frühestens in einer Stunde. Außerdem will deine Tochter ja vielleicht auch mal in den Pool hopsen.”
Nein, seine Tochter wäre nicht scharf darauf, bei ein paar älteren Männern am Pool zu sitzen. Aber vielleicht täten ihm ein paar Züge ganz gut.
“Okay. Ich geh mich nur schnell umziehen. In ein paar Minuten bin ich bei euch.”
Mark nickte lächelnd. Er war ein netter Kerl. Arbeitete an Zivilsachen und hatte einen guten Ruf als Anwalt. Einmal hatte Ben versucht, Beth mit ihm zu verkuppeln. Leider hatte es zwischen den beiden nicht gefunkt.
Im Umkleideraum zog Ben sein Jackett aus, löste die Krawatte und öffnete das Nummernschloss an seinem Spind. Dabei glaubte er, ein Geräusch zu hören, und schaute sich um.
Es hätte ihn nicht überrascht, jemanden zu sehen. Viele Mitglieder kamen direkt von der Arbeit her, zogen sich um und gingen dann geradewegs zum Pool oder zu ihren Booten.
Doch niemand schien in der Nähe zu sein.
Dabei hätte er schwören können, dass er gerade jemanden gehört hatte.
Er arbeitete zu viel, viel zu viel.
Weitere Kostenlose Bücher