Mörderspiel
hast du sie dann nicht längst an die große Glocke gehängt?“
Sie erklärte lächelnd: „Weil man über alles im Leben verhandeln kann.“
„Das heißt, du willst mich erpressen.“
„Was für ein hässliches Wort! Nein, nicht erpressen. Ich will dich nicht ewig quälen. Aber ich muss gestehen, dass ich momentan nicht sehr flüssig bin, du siehst also…“
„Und was passiert, wenn du wieder mal nicht flüssig bist?“ „Nun ja, ich versuche, vernünftig zu sein. Ich bin selten so blank wie im Augenblick.“
„Und um Moral geht es bei der ganzen Sache nicht, wie ich sehe. Dass Cassandra Stuart ermordet wurde, ist dir völlig gleichgültig?“
„Natürlich. Viele Leute hätten sie gern über die Brüstung gestoßen. Sie hatten nicht alle die Gelegenheit dazu. Ich meine, eine bösartige Frau ist gestorben. Wen kümmert’s?“
„Es gab Menschen, die es kümmerte!“ hielt er ihr zornig entgegen.
Sie ging achselzuckend darüber hinweg. „Ich gehörte nicht zu denen. Dies ist eine geschäftliche Verhandlung, weiter nichts. Ich werde später keine Gewissensbisse haben, also mach dir darüber keine Gedanken.“
„Aber du bist eben derzeit nicht flüssig.“
„Was wahrscheinlich nicht wieder geschieht.“
„Nenne eine Summe.“
Sie tat es.
Er nickte.
Sie lächelte und ging, da sie, wie alle anderen auch, auf ihrem Zimmer sein sollte.
Noch lange, nachdem sie fort war, starrte er auf die Tür. Verzweiflung und Niedergeschlagenheit befielen ihn. Sie würde jetzt mindestens einmal pro Jahr nicht flüssig sein – so lief das eben. Und was, wenn er kein Schweigegeld mehr zahlen konnte?
Aber welche Wahl blieb ihm?
Natürlich gab es noch eine andere Möglichkeit…
Allein in ihrem Zimmer, versuchte Sabrina die Verunsicherung zu verdrängen, die sich ihrer bemächtigt hatte. Zwischen ihr und Jon war sehr schnell wieder ein Gefühl der Intimität aufgekommen. Zugleich verhielt er sich jedoch, als wolle er sie abschrecken.
Sie telefonierte mit ihren Eltern, erkundigte sich nach deren Befinden und fragte, wie es ihrer Schwester, dem Schwager und dem Baby ging. Dann schwärmte sie, wie wunderbar Schottland sei, und versicherte ihnen, dass die Gerüchte, die sie über Jon Stuart gehört hatten, reiner Illustriertentratsch waren und sie sich auf Lochlyre Castle in keiner Gefahr befand. Schließlich verabschiedete sie sich fröhlich, entschuldigte sich, weil sie so früh angerufen hatte, und legte auf. Danach streckte sie sich auf dem Bett aus und schloss die Augen, um auszuruhen. Doch sie war zu rastlos.
Sie schlenderte wieder auf den Balkon hinaus. Einen Moment hatte sie Hemmungen, an die Brüstung zu treten. Wie sonderbar es gewesen war, mit Jon hier zu stehen. Furcht hatte sie beschlichen. Dennoch war sie überzeugt gewesen, dass er sie nicht über die Brüstung stoßen würde. Er hatte keinen Grund dazu.
Hatte er denn einen Grund gehabt, Cassandra zu töten? Alberne Frage. Jeder glaubte, einen Grund zu haben, Cassandra umzubringen.
Sabrina blickte am Seitenflügel des Gebäudes entlang zu Jons Suite. Sie überlegte, ob wohl alles anders gelaufen wäre mit ihnen beiden, wenn sie bei ihrer ersten Begegnung nicht so jung gewesen wäre. Nicht bloß jung, sondern auch naiv. Sie spürte, wie ihr Puls schneller schlug. An der Unterlippe nagend, gestand sie sich endlich ein, warum sie wirklich hier war. Sie war immer noch in Jon verliebt.
Nein, das war natürlich absurd. Um verliebt zu sein, hatte sie ihn viel zu lange nicht gesehen.
Außerdem gab es immer noch Menschen, die der Ansicht waren, dass er irgendetwas mit dem Tod seiner Frau zu tun hatte, obwohl die polizeiliche Untersuchung keinen Hinweis darauf ergeben hatte.
Aber die Abwägung logischer Argumente brachte sie im Moment nicht weiter. Sie jedenfalls glaubte keine Minute daran, dass Jon Cassandra umgebracht hatte. Oder war sie etwa schon wieder hoffnungslos naiv?
Sie hörte ein Geräusch und eilte in ihr Zimmer zurück. Eine Nachricht, ihre erste Spielanweisung, war unter der Tür durchgeschoben worden. Sie öffnete den Umschlag und las:
„Herzogin, begeben Sie sich in der Dämmerung zur Chorprobe in die Kapelle. Sie begegnen dem verirrten Mädchen. Zeigen Sie ihr das Licht. Wegbeschreibung zur Kapelle beigefügt.“
Sabrina studierte die kleine Zeichnung unter der Mitteilung und murmelte schaudernd vor sich hin: „Na, großartig! Die Kapelle liegt im Kellergewölbe, hinter dem Horrorkabinett!“
Es klopfte. Sie öffnete, und da stand
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