Mörderspiel
nichts an. Aber trotzdem würde ich es natürlich gern erfahren.“ Leicht lächelnd fügte er hinzu: „Wann immer du bereit bist, es mir zu erzählen.“
Sie sah ihn an und wunderte sich, dass sie nicht beleidigt war über seinen Ausbruch. Er war sehr unverblümt, fast arrogant gewesen. Doch an seinem Lächeln erkannte sie, dass er sehr viel Verständnis für sie hatte.
„He!“
Camy Clark kam in die große Halle zurück, stemmte die Hände auf die Hüften und tadelte: „Alle sollten für die nächste Stunde auf ihren Zimmern verschwinden. Und das gilt auch für Sie, Boss!“
„Okay, okay, wir gehen ja schon“, versicherte Jon.
Er stand rasch geschmeidig auf und war an Sabrinas Seite, ehe sie sich erheben konnte. Galant zog er ihr den Stuhl zurück, und ein schwacher, männlicher Duft nach Seife und Aftershave umgab ihn. Für sie war er immer noch der attraktivste und sinnlichste Mann, dem sie je begegnet war. Obwohl sie sich nicht berührten, schien sie ihn mit jeder Nervenfaser wahrzunehmen. Sie war versucht, sich umzudrehen und sich ihm an den Hals zu werfen.
Natürlich tat sie das nicht.
Sie erhob sich, dankte ihm und lächelte Camy zu. Nachdem sie die Halle verlassen hatte, eilte sie die Treppe hinauf.
Doch als sie im oberen Stockwerk ihre Tür erreichte, spürte sie, dass Jon hinter ihr geblieben war. Noch ehe er sprach, war sie sich seiner Nähe bewusst.
„Viel Glück, Herzogin.“
Sie fuhr herum.
Wie stets war der Blick aus diesen dunklen Augen schwer zu deuten.
„Viel Glück?“
„Bei der Suche nach dem Killer.“
„Ach so, das Spiel.“
„Natürlich, was denn sonst? Ach ja, da gibt es noch das wahre Leben, richtig?“ sagte er mit gesenkter Stimme und kam ihr plötzlich sehr nah.
„Bist du böse auf mich?“ fragte sie nervös.
„Was glaubst du wohl?“
Er drückte ihr die Tür auf und drängte sie in ihren Raum. Die Hand an ihrem Ellbogen, führte er sie weiter zum Balkon. „Sieh dich um. Spüre den Wind. Bald wird er kalt und brutal werden. Das hier ist eine raue Gegend, besonders für Menschen, die sie verabscheuen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie dieses Schloss Cassandra auf die Nerven gegangen ist. Angeblich spukt es hier, weißt du? Nun ja, wahrscheinlich spukt jetzt auch Cassandra hier herum. Stell dir vor, wie sie sich gefühlt hat, hier draußen auf dem Balkon. Sie spürte den Wind… denselben Wind wie jetzt. Sie sah das Land, das sie so verabscheute. Dasselbe Land. Es muss ein schrecklicher Schock für sie gewesen sein, als sie erkannte, dass jemand die Dreistigkeit besaß, sie umbringen zu wollen.“
Er hielt sie am Arm fest, und Sabrina spürte, wie zornig und frustriert Jon war. Er blickte in die Ferne und schien vergessen zu haben, wie fest er sie gegen das Balkongeländer drückte.
Ihr Herz schlug schneller, und für Augenblicke erfasste sie Panik. Sie kannte diesen Mann kaum. Sie hatte zwar mit ihm geschlafen, trotzdem blieb er ein Fremder für sie.
Begleitet wurde ihre Panik jedoch von einer seltsamen, prickelnden Erregung. Es gefiel ihr, seine Hand zu spüren und ihm so nah zu sein. Sie wollte, dass er blieb. Wieder war sie versucht, die Arme um ihn zu schlingen. In seiner Nähe fühlte sie sich eigenartig. Ihr war noch nie jemand begegnet, der ein solches Verlangen in ihr weckte. Sie versuchte sich klarzumachen, wie töricht sie war. Frauen, die sich zu gefährlichen Männern hingezogen fühlten, waren schlichtweg dumm.
Aber Jon hatte seine Frau nicht umgebracht.
Dennoch hatte er ihren Tod vielleicht gewünscht. Andererseits hatten viele ihren Tod gewünscht.
„Stell dir vor“, wiederholte er und zog Sabrina näher zu sich und weiter über die Balkonbrüstung, „stell dir vor, wie sie nach unten schaut, sich hinüberbeugt und dann…“
„Jon!“
Als sein Name gerufen wurde, wich er erschrocken zurück. Sabrina ließ den angehaltenen Atem entweichen, fuhr ebenfalls herum und blickte zur geöffneten Tür.
Camy stand lächelnd da und schüttelte ungeduldig den Kopf. „Wenn das so weitergeht, kommen wir nie dazu, unser Spiel zu starten!“
„Tut mir wirklich Leid“, entschuldigte er sich sogleich. Lächelnd fügte er an Sabrina gewandt hinzu: „Viel Glück bei der Killersuche. Es könnte eine Frage…“
„… von Leben und Tod werden“, beendete sie seinen Satz.
Zu ihrer Überraschung nahm er sie bei den Schultern und küsste sie auf die Stirn. Dann verließ er den Balkon und ihr Zimmer.
Einen Moment verharrte Sabrina still.
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