Mörderspiel
Kapelle führen musste.
So war es auch.
Sie atmete erleichtert auf, als sie hineinsah. Die Kapelle war schön mit ihren Steinbögen, dem Altar und der alten Kanzel. Längs der Wand waren in geätztem Buntglas die Stationen des Kreuzweges dargestellt. Eine spezielle Beleuchtung dahinter ließ die Bilder auch im Halbdunkel des Gewölbes erstrahlen. Offenbar waren die Gräber einiger Stuarts nicht in der Krypta, sondern hier. Sie lagen zwischen den Kreuzweg-Stationen, und jede Grabplatte zierte eine aufwendig gearbeitete Steinskulptur des jeweiligen Toten. Wie die Krypta war auch die Kapelle makellos sauber. Nirgends ein Spinngewebe oder eine Spinne. Auf dem Altar und am Ende jeder Bankreihe brannten Kerzen in schönen Haltern.
Sabrina ging auf den Altar zu. Dort angelangt, hörte sie Schritte hinter sich und fuhr herum. Sie würde sich schreiend die Haare ausreißen, wenn jetzt wieder niemand da war.
Doch Dianne Dorsey erschien im schwarzen Cocktailkleid. Das ordentlich geschnittene schwarze Haar bei jedem Schritt schwingend, kam sie lächelnd auf Sabrina zu.
„Bin ich froh, Sie zu sehen!“ sagte die junge Autorin erleichtert.
Sabrina lächelte. „Ich bin auch froh, Sie zu sehen.“
„Sind Sie die Mörderin?“ fragte Dianne eifrig.
Sabrina erwiderte lachend: „Wenn ich es wäre, dürfte ich es Ihnen nicht sagen.“
„Nun ja, wenn Sie es sind, bin ich das erste Opfer.“
„Umgekehrt natürlich genauso.“
„Erhielten Sie eine Anweisung hierher zu kommen?“ wollte Dianne wissen.
Sabrina nickte. „Ich treffe mich mit einem meiner verirrten Mädchen. Chorprobe.“
Dianne erwiderte lachend: „Nun ja, obwohl ich tagsüber Mary, die Hare-Krishna-Jüngerin, bin, arbeite ich nachts offenbar für Ihren Callgirlring.“
„Herrje! Soll das heißen, Sie sind keine engelsgleiche, sondern eine irregeleitete Chorsängerin?“
„Na ja, wahrscheinlich singe ich so engelsgleich wie jeder andere. Aber meine Anweisung besagt, dass ich getadelt werden soll, weil ich die letzte ‚Verabredung’, die Sie für mich arrangiert haben, sausen ließ.“
„Mit wem?“
„Mit dem Beschränkten Dick natürlich.“ Dianne lachte.
„Nun gut, betrachten Sie sich als gebührend getadelt.“
„Nicht, dass ich eine Verabredung mit Jon als Beschränktem Dick versäumt hätte, wenn ich denn eine gehabt hätte.“
Der kecke Kommentar machte Sabrina wieder mal neugierig, wie Diannes Beziehung zu ihrem Gastgeber war. Sie wandte sich ihr zu, doch Dianne wanderte bereits durch die Kapelle und sah sich die Kreuzweg-Stationen in Buntglas an.
„Die sind wirklich schön, nicht wahr?“
„Hinreißend“, stimmte Sabrina zu.
„Das ist Tiffany-Glas“, erklärte Dianne. „Jons Großvater ließ es um die Jahrhundertwende einarbeiten. Jon hat es mir erzählt, als wir das letzte Mal hier waren.“
Neugierig geworden, folgte Sabrina ihr. „Das muss eine schreckliche Woche gewesen sein damals. Sehr tragisch.“
Dianne zuckte kurz mit den Achseln. „Ich mag nicht gern wie Susan reden, aber Cassie war sehr… unbeliebt.“ Sie warf Sabrina ein kurzes Lächeln zu. „Hauptsächlich natürlich bei Frauen.“
„Anscheinend war Jon glücklich mit ihr“, versuchte Sabrina ihr weitere Informationen zu entlocken, war jedoch selbst ziemlich unglücklich, wie plump sie das anstellte.
„Jon hatte vor, sich scheiden zu lassen.“
„Woher wissen Sie das?“
„Er hat es mir gesagt.“
„Er…“
Dianne stellte lächelnd fest: „Sie vermuten, dass ich mit ihm geschlafen habe?“
„Ich habe gar nichts vermutet. Ich…“
„Tatsache ist, ich verehre Jon. Er ist ein guter Freund, einer der besten überhaupt. Wenn es sein muss, kann er unnachgiebig und entschlossen sein, wenn er für andere eintritt.“
„Wollen Sie mir sagen, dass Sie keine Affäre mit Jon hatten?“
„Ich sage, ich hätte gern eine gehabt. Sie etwa nicht?“ erwiderte Dianne freundlich.
„Ich war damals nicht dabei“, erinnerte Sabrina sie, ohne die Frage direkt zu beantworten.
„Jetzt begreife ich. Das eigentliche Geheimnis, das alle lüften wollen in dieser Woche, lautet: Wer war Cassies Mörder? Sie suchen ihn also auch. Und Sie wollen wissen, ob ich eine heiße, leidenschaftliche Affäre mit Jon hatte, übergeschnappt bin und seine bösartige Frau vom Balkon gestoßen habe? Nein, Sabrina. Jon ist erwachsen. Er regelt seine Angelegenheiten selbst. Und er würde sich nicht dafür bedanken, wenn sich jemand in sein Leben einmischt. Außerdem hat ihm
Weitere Kostenlose Bücher