Mörderspiel
interessiert betrachtete. Dann erklärte sie achselzuckend: „Stellt euch vor, jemand treibt eine Frau in den Wahnsinn, und es ergibt sich für sie die Gelegenheit, etwas dagegen zu unternehmen. Eine überfüllte U-Bahn-Station… ein kleiner Schubs. Oder eine belebte Straße. Ein Auto kommt vorbei… es bleiben nur Sekunden zum Nachdenken! Soll ich nur sanft stoßen, einen kleinen Schubs geben…?“
Es wurde still im Raum, als alle Augen auf sie gerichtet waren.
Einzig Thayer schien die Anspielung in ihrer Äußerung nicht bemerkt zu haben.
„Sicher“, pflichtete er bei. „Einige Morde haben so simple Auslöser, dass es Mitleid erregend ist. Ein Ehemann flippt aus, weil ihm seine Frau an drei aufeinander folgenden Tagen Reste-Essen vorsetzt. Er schreit und brüllt, und peng! erschießt er sie, vorausgesetzt, er hat eine Waffe zur Hand. Frauen erdulden Tag für Tag, Nacht für Nacht einen gewalttätigen Ehemann. Er bricht ihr die Knochen, haut ihr die Augen blau und ist nur am Meckern: Sie taugt nichts, sie macht nichts richtig. Er schreit sie an, weil das Fleisch beim Dinner nicht schmeckt und die Sauce nur für Schweine zu genießen ist.“
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Er säuft wie ein Loch, kommt jede Nacht um zwei nach Haus, stinkt nach abgestandenem Schnaps und will Sex. Sie kann nichts mehr fühlen und nicht mehr denken. Schließlich liegt er eines Tages mit seinem dicken Bauch, der unter dem fleckigen T-Shirt hervorschaut, in seinem Liegestuhl, die Beine hoch, rülpst und verlangt ein frisches Bier, während er sich mit tausend Dezibel Lautstärke ein Footballspiel ansieht. Da flippt sie aus. Sie bringt ihm kein neues Bier, sondern kommt mit einem geladenen Gewehr zurück.“
„Er war ein ausgewachsenes Ekelpaket“, konstatierte Dianne lächelnd. „Wird die Frau des Mordes angeklagt? Wird ihr Notwehr angerechnet, oder bekommt sie gar eine Medaille, weil sie die Menschheit von einem Übel befreit hat?“
Leises Gelächter erfüllte den Raum. Es war ein angenehmes Geräusch. Trotz des ernsten Themas benahmen sie sich endlich wie eine Gruppe von Krimiautoren, denen es Spaß machte, ihr Interessengebiet zu diskutieren, wie es auf einer solchen Zusammenkunft sein sollte.
Eine Zusammenkunft, wie Jon sie geplant hat, mit einem Finale, das Kindern nützt, überlegte Sabrina. Sie war plötzlich sehr traurig, dass sein Vorhaben von Zwischenfällen überschattet wurde.
Nicht bloß überschattet, berichtigte sie sich, die Veranstaltung schien durch etwas bedrohlich zu werden.
Wer sagte hier eigentlich noch die Wahrheit? Und wer agierte im Geheimen?
Thayer war zu sehr in seine Unterhaltung vertieft, um etwas Bedrohliches zu bemerken. Grinsend erwiderte er Dianne: „Natürlich weiß man, dass es immer ein Motiv für Mord gibt.“
„Auch wenn er so nebenbei geschieht?“ fragte Anna Lee. „Wenn jemand einen Fremden, der auf einem Bahnsteig steht, vor den Zug stößt?“
Thayer nickte. „In dem Fall ist Wahnsinn das Motiv. Der Typ, der plötzlich Stimmen hört. Der Paranoiker, der sich von der Welt bedroht fühlt.“ Achselzuckend fügte er hinzu: „Monster hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Nur scheint mir, dass sie heute schlimmer werden – inzwischen sind es echte Barbaren, die sich an Schmerzen aufgeilen und sich nur ausleben können, wenn sie quälen und töten. Es ist großartig, dass die Forensik es so weit gebracht hat. Eine kleine Faser, ein mikroskopisch kleiner Tropfen Blut oder eine Hautzelle, und man kann einen DNS-Vergleich machen – toll ist das.“
„Natürlich braucht man vorher einen Verdächtigen“, erinnerte Joe ihn.
„Sicher. Und es ist erschreckend, wenn man sich klarmacht, wie viele Kriminalfälle ungelöst bleiben.“
„Gott sei Dank mögen die Menschen die Lösung von Kriminalfällen, sonst hätten wir alle keine Arbeit mehr“, bemerkte Anna Lee und blickte lächelnd in die Runde. „Da wir gerade dabei sind, sollten wir heute nicht alle unsere schrecklichsten Geheimnisse beichten – und herausfinden, welcher Spaßvogel die Leute an die falschen Orte schickt?“
„Susan macht sowieso Hackfleisch aus uns, wie die Sache auch ausgeht“, sagte Joe unglücklich.
Anna Lee erwiderte achselzuckend: „Dann sagen wir ihr einfach, wenn sie es wagt, auch nur ein schlechtes Wort über uns zu drucken, machen wir es mit ihr wie bei Agatha Christie. Wenn sie sich nicht anständig benimmt, werden wir sie nacheinander mit Seil, Messer, Gewehr, Gift,
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