Möwenfluch (Vloek op Meeuwen) (Möwennest) (German Edition)
aus seinem Gürtel.
„Weißt du, was das ist?“, fragte er und drückte einen Knopf. Harry hörte zuerst das Klicken und dann das elektrische Knistern. Andrej wartete nicht auf Harrys Antwort. Er stieß den Stab einfach ohne weitere Vorwarnungen oder Erklärungen in dessen Richtung.
„Erholsame Träume.“
Das blaue Licht flog auf Harry zu, bevor er in irgendeiner Weise reagieren konnte. Es gelang ihm gerade noch reflexartig mit dem Kopf zurückzuzucken, trotzdem traf ihn Andrej mit dem Viehtreiber am Hals.
Die geballte Ladung entlud sich mit einem Mal. Vor Harrys Augen explodierte die Welt in gleißend weißem Licht.
Alles Weitere löste sich in dem Schmerz auf, den die 20.000 Volt auslösten, die von seinem Kopf abwärts durch seinen Körper schossen. Harry sackte zusammen, krümmte sich, zuckte unkontrolliert. Mit dem Gesicht zuerst fiel er in den Sand. Und dann gab es nur noch Finsternis und Leere.
***
„Harry? Harry? Harry?!“
Harry Romdahl irrte durch weiße Nebelschwaden, ständig rief jemand sehr leise seinen Namen, aber er konnte den Rufer nicht entdecken. Die Stimme kam aus allen Richtungen gleichzeitig und warf tausend Echos. Harry drehte sich um die eigene Achse, er wusste nicht, wo er sich befand, konnte nicht einmal den Boden unter seinen Füßen erkennen. Er lief planlos umher, bis er jäh von den Beinen gerissen wurde. Unter seinen Schuhen befand sich nur noch gähnende Leere und er fiel in die tiefste Finsternis, die er je erlebt hatte und dann endete seine Ohnmacht …
„Harry? Geht es Ihnen gut?“, fragte jemand. Es klang besorgt und nach einer Frau. Harry blinzelte, er konnte nichts erkennen, sein Blick blieb im diesigen Dämmerlicht unscharf. Er hörte das Brummen eines alten Dieselmotors und die Rollbewegung von Reifen dicht an seinem Ohr. Er erkannte nicht sofort, wo er sich befand, konnte nur mit Sicherheit sagen, dass es unangenehm nach altem Motoröl und Sägespänen roch.
„Harry, sind Sie wach?“
Jetzt erkannte Harry die Stimme. Sie gehörte der netten Krankenschwester, die ihn vor drei Tagen zur Flucht verholfen hatte. Aber wie war das möglich?
„Ich … ich denke schon“, stöhnte er, während sich sein Blick langsam schärfte.
Sein Körper fühlte sich an, als wäre er von einer Dampfwalze überrollt worden.
„Gott sei Dank. Ich fürchtete schon, Sie wären tot oder so. Seit wir hier drin sitzen und uns die Idioten wie Vieh durch die Gegend transportieren, haben Sie keinen Ton von sich gegeben und der da hinten in der Ecke hat auch nicht mehr alle Kugeln am Christbaum.“ Sie deutete in den vorderen Bereich des niedrigen Laderaumes. Sie mussten sich in einem Lieferwagen befinden, vielleicht einem Sprinter. Ari Sklaaten kauerte vorn in der Ecke und führte Selbstgespräche. Der Wagen fuhr durch ein Schlagloch und danach direkt in eine scharfe Rechtskurve. Die Insassen wurden hin- und hergeworfen.
„Wo bringen die uns hin?“, fragte Harry, als sich der Wagen wieder auf gerader Strecke befand. Er versuchte sich aufzurappeln, kam aber nur dazu, seinen Rücken gegen die Wand zu lehnen und sich am Radkasten festzuhalten.
„Keine Ahnung, was die Spinner vorhaben“, antwortete Monica, sie deutete auf ihre aufgeplatzte Lippe und einen roten Fleck knapp unter ihrem linken Auge.
„Gucken Sie sich an, was die mit mir gemacht haben, Harry Romdahl . Die sind übel drauf, die Brüder. Wenn ich hier rauskomme, dann gibt es aber so was von Ärger.“
„Ich weiß nicht“, murmelte Harry, er glaubte nicht, dass Viktor sie einfach gehen lassen würde. Harry war schon zu lange im Geschäft, das hier war keine Kaffeefahrt.
Er tastete seinen Hals ab. Alles fühlte sich taub an, nur die Stelle, an der der Stab ihn erwischt hatte, brannte, als er mit dem Finger darüberfuhr.
„Ich weiß es dafür umso mehr“, widersprach Monica, sie war temperamentvoll, ohne Frage, das war allerdings nicht von besonderem Nutzen.
„Die haben mich an den Haaren aus dem Bett gerissen. Schau da!“ Sie zeigte einige zerzauste Strähnen ihrer roten Lockenpracht. Harry schaute sich die Haare an und konnte nicht verhindern, dass sich eine völlig unpassend Frage in sein Bewusstsein drängte. Im Krankenhaus war er nicht darauf gekommen, vielleicht konnte sie etwas Licht ins Dunkel bringen. Natürlich war es komplett unpassend, aber was spielte das in dieser Situation noch für eine Rolle.
„Du hast schönes Haar, wie kommt man zu so prächtigen, roten Locken? Eine Schande,
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