Mogelpackung: Roman
obwohl sie dabei die Deckung eines ausladenden Ginsterbusches nutzte und über dem Garten nachtschwarze Stille lag, fühlte sich Helena Anatol beobachtet.
Ein Gefühl, das sie während ihres ganzen Fußmarsches zurück zu ihrer Wohnung nicht mehr losließ.
15.
NEWSFLASH FAMILIE FRIED:
Tim: Warum fällt keinem was zu ›John Maynard‹ ein? (Bleistiftskizze eines im Meer versinkenden Totenkopfs, dem Tränen aus den nicht mehr vorhandenen Augen rinnen.)
Karla: Alle doof.
Fredo: Dafür weiß ich, wo die Mülltonne ist. Kennt jemand einen Glaser?
Gesche: Erich Glaser. War mein Kollege bei der Post. Ist schon lange tot.
Müsste er den Glaser eben googeln. Aber das hatte Zeit. Fredo klappte das Mitteilungsbuch zu und legte es zurück auf den Küchentisch. Auf dem Weg zum Kühlschrank fiel er fast über drei randvolle, übelriechende Abfallsäcke, auf denen ein großer Zettel lag: »Für den Mülltonnen-Checker«. Karlas Handschrift. Fredo seufzte, nahm die Säcke und schleppte sie vor die Haustür. Die Mülltonne lag noch genau dort, wohin Fredo sie per Benz geschossen hatte: hinter den Büschen neben der Auffahrt. Er zog sie aus dem Gesträuch, brachte die Tonne zu ihrem angestammten Platz zurück und stopfte die Müllsäcke hinein. Dann kümmerte er sich endlich um seinen Beutezug zum Kühlschrank.
Erst nach dem Frühstück stellte sich Fredo dem Chaos in seinem Gästezimmer. Als erste Amtshandlung kehrte er alle Scherben auf dem Teppich zusammen und brachte sie zur Mülltonne. Die feinen Splitter entsorgte der Staubsauger. Vor dem Bett lagen noch ein buntgeringeltes Sockenpaar und ein schwarzer Büstenhalter, beides von Katrin, schätzte Fredo und erinnerte sich an den fluchtartigen Abgang seiner schönen Nachbarin. Nur mit kurzem Bedauern, denn danach hatte ihn das Schicksal ja reichlich entschädigt, wie er fand.
Helenas Leidenschaftlichkeit hatte ihn dabei weniger überrascht als die Tatsache, dass er sich selbst so bereitwillig auf sie eingelassen hatte. Helena Anatol war eine reizvolle, kluge Persönlichkeit, sah umwerfend aus und fühlte sich noch besser an – aber sie verbreitete auch die Aura einer wandelnden Problemzone, und um Probleme schlug Fredo für gewöhnlich einen Bogen. Außerdem fand er es selbst nach seinen eher lockeren Moralbegriffen etwas seltsam, innerhalb einer guten Stunde von einer Frau auf die andere umzuschwenken. Wäre Katrin nicht weggelaufen, wäre das mit Helena nicht passiert, sagte sich Fredo. Ist sie selbst schuld. Helena war auch nicht geblieben, aber das verstand er ganz gut. Schließlich war sie Tims und Karlas Lehrerin, da gäbe es zu viel Erklärungsbedarf, wenn man sich beim Frühstück über den Weg lief. Nur, einen kleinen Zettel oder so hätte Helena schon für ihn hinterlassen können, fand Fredo.
Er klaubte die Ringelsocken und den BH auf und sah sich um: alles sauber, Mission beendet. Allerdings nur hier im Zimmer. Bei Katrin gab es noch einiges zu bereinigen. Und damit sollte er nicht lange warten, überlegte sich Fredo. Es zog ihn zwar längst nicht mehr so zu Katrin wie noch gestern vor der Cocktailstunde, aber für einen Kinderschänder wollte er von ihr nun auch nicht gehalten werden. Wer weiß, welche Geschichten Katrin über ihn verbreiten würde, wenn er das nicht mit ihr klärte. Und wie schnell sich Geschichten in Bornstedt verbreiteten und sich dabei unweigerlich aufblähten, daran erinnerte sich Fredo nur zu gut. Als man ihn während eines Klassenausflugs nachts im Mädchenzimmer erwischt und nach Hause geschickt hatte, wussten das die meisten Eltern der Klassenkameraden schon, bevor der Lehrer Fredo in den Zug gen Heimat gesetzt hatte – obwohl damals noch kein Schüler ein Handy besaß. Und bis er dann zu Hause ankam, war aus seinem – in Wahrheit ziemlich unschuldig verlaufenen – nächtlichen Ausflug der gerade noch rechtzeitig gestoppte Jungfrauenbeutezug eines gierigen Sexmonsters geworden. Trotz zahlreicher Richtigstellungen hatte es Monate gedauert, bis die Gerüchte verstummten. Damals hatte Fredo es sogar zeitweise ganz spannend gefunden, mit diesem unfreiwillig erworbenen Image zu spielen. Aber heute konnte er auf solche Turbulenzen gut verzichten. Also beschloss er, Katrin sogleich einen Besuch abzustatten. Socken und BH nahm er mit – dann präsentierte er gleich einen guten Grund dafür.
Er hatte Glück: Katrin war zu Hause. Allerdings blieb sie in der geöffneten Haustür stehen und bat ihn nicht herein. Offensichtlich war auch
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