Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Besorgnis, doch aus Alenka ist außer Schluchzen nichts herauszubringen. Und Lukas schafft es, sogar im Sitzen danebenzustehen und nicht zu wissen, was er sagen oder tun soll, Mutter und Tochter bilden einen geschlossenen Kreis, in dem für ihn kein Platz ist. Darf ich heut’ bei dir schlafen, fragt Alenka, als das Schluchzen nachgelassen hat. Mira wirft Lukas einen halb fragenden, halb entschuldigenden Blick zu. Ich muss sowieso morgen ziemlich früh aufstehen, sagt er, doch er kann seine Enttäuschung nicht verbergen. Bitte, sei mir nicht böse, sagt Mira an der Tür und küsst den Lehrer zum Abschied. Weißt du, ich … ich brauch’ Zeit, und Alenka auch. Es ist alles so neu, wir müssen beide erst lernen, damit umzugehen. Der Lehrer versucht, eine verständnisvolle Miene aufzusetzen, was ihm halbwegs gelingt, dann ist die Tür zu und der Lehrer weg vom Fenster und ich mit ihm.
Im dritten Stock knallen heute zumindest im Geiste die Champagnerkorken: Magomaz und Taisa aus Tschetschenien haben einen positiven Asylbescheid erhalten, wahrscheinlich ist den zuständigen Beamten ein Fehler unterlaufen. Taisa und Magomaz, die zahlreiche Familienmitglieder im Krieg verloren haben, können nun jedenfalls in Ruhe Betten kaputtvögeln, ohne sich vor nächtlichen oder frühmorgendlichen Besuchen der Fremdenpolizei fürchten zu müssen. Jeder gratuliert ihnen, jeder setzt ein Lächeln auf und schüttelt ihnen die feuchten Pfoten, doch ich weiß, dass manche statt Freude in Wahrheit Neid empfinden. Die Tschetschenen bekommen alle Asyl, heißt es hinter vorgehaltener Hand in den verschiedensten Zungen, warum wir nicht?
Die Anerkennungsquote unter den Tschetschenen ist tatsächlich höher als bei anderen Asylwerbern, da muss ich meinen Genossinnen und Genossen recht geben. Das ist auch der Grund, warum Murad sich Chancen für einen positiven Bescheid ausrechnet und seinerseits versucht, Mutter und Schwester nach Österreich zu holen. Mira und der Onkel unterstützen ihn dabei. Aber das ist nicht so leicht, wie du dir das vorstellst, muss Mira ihn immer wieder bremsen. Es wäre sehr viel leichter, hättest du selbst schon ’nen positiven Asylbescheid, stutzt ihm auch der Onkel die Flügel.
Auch für Djamila gibt es gute Nachrichten: Der im Irak zurückgebliebene Vater wurde freigelassen und befinde sich, so die Mutter in ihrem Brief, auf dem Weg nach Damaskus. Und der Onkel in Södertälje bemühe sich darum, die ganze Familie nach Schweden zu holen. Djamila lacht und weint abwechselnd, und Zakia freut sich kolossal für ihren Schützling.
Doch halt, halt, bei so vielen Frohbotschaften könnte man ja tatsächlich glauben, was so manche Zeitung schreibt, dass nämlich ohnehin jeder Asyl bekommt, der sein Verfahren nur lange genug hinauszögert, und dass das Asylantenleben überhaupt, ähnlich dem Zigeunerleben, ein überaus lustiges sei. Tatsächlich gehen aber die Abschiebungen hurtig weiter, Menschen werden in ihre Heimatländer oder in andere EU -Länder geflogen, hin und her und her und hin, neue Flüchtlinge werden kaum ins Land gelassen, die Asylverhinderungsmaschine läuft auf vollen Touren. Grund genug also, sich nicht unterkriegen und weiter in die Opferrolle drängen zu lassen, Grund genug, die geplante Revolution nicht aus den Augen zu verlieren.
Die kleine Erziehungsmaßnahme für Djamilas Mitschüler war erfolgreich, unser Nesthäkchen wurde seither nicht wieder belästigt. Es gab auch keine negativen Folgen für uns, wie einige Kaninchenfüße prophezeit hatten. Doch diese Aktion fand in mehr oder weniger häuslichem Rahmen statt; nun aber wird es Zeit, den Protest in die Öffentlichkeit zu tragen. Unsere nächste Aktion daher: Wir machen Straßentheater.
Wir beginnen mit einer Aufwärmübung: Inländer erschrecken in der nahe gelegenen Fußgängerzone. Jeder von uns stellt sich einem Passanten entgegen und spricht ihn an: Ich bin Asylwerber, ich bin Lügner. Ich bin Asylwerber, ich bin Drogenhändler. Ich bin Asylwerber, ich bin ein Problem. Ich bin Asylwerber, ich nehme euch eure Arbeitsplätze weg. Die Reaktionen reichen von Belustigung über Verwirrung hin zu Erschrecken und Aggression. Ich bin Asylwerber, ich fresse kleine weiße Kinder, stelle ich mich mit gefletschten Zähnen einer blonden Mutter mit blondem Kind entgegen. Ich bin auch Ausländerin, ruft sie angsterfüllt, ich komme aus Polen! Ich unterhalte mich kurz auf Polnisch mit ihr, sie spricht es tatsächlich akzentfrei. Okay, okay,
Weitere Kostenlose Bücher