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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Ausweisungsbescheides: Abiona Okode, Anunus jüngste Tochter, vor sechs Monaten und zwölf Tagen in Österreich geboren, ihre Mutter lebt seit mehr als zwei Jahren hier im Haus, ihr Asylverfahren läuft noch. Bei der Antragstellerin, im folgenden Ast. genannt (also noch einmal, langsam, zum Mitschreiben: Die Ast. ist SECHS MONATE ALT und IN ÖSTERREICH GEBOREN!!!), bestünden laut Angaben der Kindesmutter keine eigenen Fluchtgründe, so heißt es in dem Bescheid. Bei einer Ausweisung nach Nigeria liege daher nach Ansicht der erkennenden Behörde keine Bedrohung für die Ast. vor, aus diesem Grund sei der Antrag negativ beschieden worden. Somit ergäbe sich der rechtswidrige Aufenthalt der Ast., zur Beendigung dieses Aufenthaltes sei eine Ausweisung dringend geboten, da der Verbleib der Ast. eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung bedeuten würde. Die Ausweisung stelle des Weiteren keinen Eingriff in das Privat- oder Familienleben der Ast. oder der Kindesmutter dar, da beide ohnehin getrennt vom Kindesvater lebten. Auch sonst seien nach sorgfältiger Interessenabwägung keine Umstände zutage getreten, die für eine gegenteilige Entscheidung zugunsten der Ast. sprechen würden. Es sei daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden gewesen, blablablablablablabla.
    Abiona, ihr Name bedeutet übrigens Die auf der Reise Geborene, soll also nach Nigeria, ihre Mutter darf zumindest vorerst in Österreich bleiben. In fürsorglicher Weise werden in dem Bescheid auch noch die verschiedensten Erwerbsmöglichkeiten aufgelistet, die sich jungen Frauen in Nigeria böten, wobei nicht ganz klar ist, ob diese verführerischen Versprechungen für Abiona oder für ihre Mutter Anunu gelten sollen. Das ganze Haus weiß jedenfalls schon davon und ist in finsterstem Aufruhr, Väter und Mütter rufen nach ihren Kindern, schließen sie in ihre Arme, sperren die Türen zu und verbarrikadieren sich.
    Anunu will sich Trost und Rat holen bei Pitra, alle wollen zu Pitra, um bei einem ihrer Göttergerichte die Angst und den Ärger und die Ratlosigkeit ein wenig besser ertragen zu können, doch die Schwarze Köchin ist nicht in ihrem Zimmer. Anunu versucht es später erneut, auch ich versuche es am gleichen und am nächsten und dann am übernächsten Tag, doch vergeblich. Die Betreuer warten noch ein paar Tage, doch schließlich wenden sie sich an die Polizei und geben eine Vermisstenanzeige auf. Pitras Zimmer steht weiterhin offen, ihre Kleidung, ihre Teppiche und Wandbehänge und die Hunderte von Figuren sind immer noch da, und immer noch treffen sich die Hausbewohner hier in der Hoffnung, dass Pitra bald zurückkehrt. Doch der Herd ist kalt und leer, und keine verführerischen Gerüche durchziehen den Raum. Vielleicht hat sie befürchtet, selbst bald einen negativen Bescheid zu bekommen und ist rechtzeitig untergetaucht, mutmaßt Nuriddin. Joachim, einer der Betreuer, schüttelt den Kopf. Wir sind draufgekommen, dass Pitra nie einen Asylantrag gestellt hat. Was, Wie bitte, Das ist doch nicht möglich, Wieso war sie dann hier bei uns im Heim, sprechen alle durcheinander. Das wissen wir selber nicht so recht, gibt Joachim kleinleise zu. Und wo ist Pitra jetzt? Joachim zuckt mit den Schultern. Das weiß keiner, deshalb haben wir ja auch eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Ich muss an Pitras Worte vor ein paar Wochen denken: Du musst gut auf dich aufpassen, Ali. Wusste sie da schon, dass sie uns bald verlassen würde? Denn ich bin sicher, sie ist freiwillig und aus eigenen Stücken gegangen, aus welchem Grund und wohin auch immer. Und nun ist sie es, die auf sich aufpassen muss …
    Kaum ist die Nachricht vom Verschwinden der Schwarzen Köchin halbwegs verdaut, gibt es den nächsten Abgang zu beklagen – oder zu feiern, wie manche meinen: Mladko Obranović ist eines Tages fort. Zwar hat er ein paar Kleidungsstücke zurückgelassen, doch seine Reisetasche ist weg. Er wollte vorgestern Abend irgendwelche Bekannten aus Bosnien treffen, erzählt Mira dem Lehrer, ich glaub’, er kennt sie aus dem Krieg, aus der Armee. Seither hab’ ich ihn nicht mehr gesehen. Glaubst du, dass ihm etwas passiert ist, fragt Lukas. Mira zuckt mit den Schultern. Ich hoffe nicht. Er hat ja seine Tasche mitgenommen, versucht Lukas sie zu beruhigen, er hat also offenbar geplant fortzugehen. Mira schweigt. Habt ihr euch gestritten? Sie verneint. Wir hätten heute einen Termin beim Rechtsanwalt haben sollen, ich verstehe nicht, dass Mladko nicht kommt, es ist doch

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