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Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten

Titel: Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Horvath
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Handrücken die Tränen von den Wangen, ich hab’ ihn genauso gut oder schlecht gekannt wie die meisten anderen im Haus. Es ist nur … irgendwie ist momentan einfach alles Scheiße. Das sagt man nicht, hast du gesagt, kräht Djamila, die nur das letzte Wort, nicht aber den Rest der Konversation vernommen hat. Mira zwingt sich ein Lächeln ab. Du hast recht. Haluk mustert sie von der Seite, wahrscheinlich ist auch ihm schon aufgefallen, dass sie müde aussieht, wahrscheinlich würde er gerne fragen, was denn alles Scheiße sei, doch nun, da durch Djamila Aufmerksamkeit auf ihre Unterhaltung gelenkt wurde, lässt er die Sache auf sich beruhen. Mira steht bald auf, trägt brav ihren Teller zum Geschirrspüler und verlässt die Küche.
    Gjergi ist also tot, Gjergi hat endlich Schlaf gefunden. Zwei Krankenhausaufenthalte haben seinen Zustand nicht verbessert, zwar kann man heutzutage Herzen, Nieren und andere Organe ver- und ersetzen, nicht aber den fehlenden Lebenswillen. Soll man sich für ihn freuen? Ich weiß es nicht. Schon in den letzten Monaten hat er ja sein Bett, geschweige denn das Zimmer, kaum verlassen, und wenn man ihn zu Gesicht bekam, dann wirkte er noch grauer, noch dünner, noch gebrechlicher als sonst. Mein lieber Gjergi, ich hoffe, du findest nun tatsächlich Erlösung im Schlaf und kommst nicht auf die Idee, als Geist zurückzukehren und tagtäglich und nachtnächtlich das Haus zu durchstreifen …
    Mira sitzt am Computer, als Lukas am Abend desselbigen Sabbats nach getaner Arbeit im Büro auftaucht. Hallo, schönste aller Miras, grüßt er und haucht einen zärtlichen Kuss auf ihren schlanken Nacken. Ich muss mit dir reden, sagt Frau Obranović ernst, während sie sich halb zu ihm umdreht. Okay, reden wir, sagt der Lehrer, und die Zärtlichkeit ist ihm plötzlich aus dem Gesicht gerutscht. Mira erblickt mich auf dem Gang vor dem Büro. Gehen wir hinüber ins Betreuerzimmer, sagt sie, und Lukas trottelt brav hinterdrein wie ein Hund, der gerade Prügel kassiert hat.
    Ich folge den beiden, und so, wie ich unfreiwillig die Anfänge ihrer Beziehung beobachten musste, bin ich nun, nach einem knappen Jahr, Zeuge von deren Ende. Ich kann nicht mehr, bricht es nach ein paar Sekunden angespannten Schweigens aus Mira hervor, und sie beginnt laut zu schluchzen. Was kannst du nicht mehr, fragt der Lehrer leise, er schöpft wohl kurz Hoffnung, dass vielleicht doch nicht ihre Beziehung, sondern irgendein ganz anderes Problem der Grund für Miras Kummer sein könnte. Unsere Beziehung … ich … ich kann nicht mehr, stammelt Mira und zerstört des Lehrers letzte Hoffnung. Ich bin momentan einfach nicht fähig zu einer Beziehung. Die Geschichte mit Mladko hat mich ziemlich eingenommen, weißt du, viel mehr, als ich dachte. Mitgenommen, korrigiert der unverbesserliche Besserwisser. Siehst du, sagt die Schülerin, ich kann nicht einmal mehr Deutsch. Immer noch besser als ich Serbokroatisch, meint der Lehrer, und Mira und ich geben ihm recht. Es sind so viele Probleme aus der Vergangenheit wieder aufgetaucht, fährt sie fort, so viele ungelöste Konflikte, ich brauche Zeit, um mit diesen Dingen zurechtzukommen, um … Sie bricht ab. Vielleicht kann ich dich irgendwie unterstützen, vielleicht kann ich dir dabei helfen, Klarheit zu erlangen, bietet Lukas an. Ich weiß nicht, sagt Mira und schnäuzt sich geräuschvoll. Alenka braucht mich auch, ihr geht es momentan gar nicht gut, und mir geht es nicht gut mit ihr. Und was ist mit Mladko? Was soll mit ihm sein? Gehst du zu ihm zurück? Mira lässt ein verächtliches Schnauben hören. Du weißt, dass ich das nicht tue. Ich weiß gar nichts von dir, sagt Lukas resignierend, und auch in diesem Punkt muss ich ihm recht geben. Mladko ist irgendwo in Bosnien, er hat letzte Woche angerufen, das weißt du, und ich bin hier und habe nicht vor wegzugehen.
    Die beiden fahren noch eine Weile fort, miteinander zu reden, auch wenn sie einander nichts mehr zu sagen haben. Ich gebe zu, ich bin nicht ganz frei von Schadenfreude, doch ich empfinde auch Mitleid mit Lukas dem Geknickten, als er schließlich davonschleicht aus dem Betreuerzimmer und aus Miras Leben, in dem es keinen Platz mehr für ihn gibt.
    Bei Gjergis Begräbnis lerne ich Egzon Bokshi kennen. Egzon war mit Gjergi befreundet, auch er stammt aus dem Kosovo, er musste das Land verlassen, weil er als Journalist zu viele Wahrheiten verbreitet hatte, die keiner hören wollte. Als wir nach der kurzen Zeremonie über den kalten

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