Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
wird für ihn anderswo ein Platz gesucht.
12
Nachdem der Sommer schon im August temperaturmäßig von der Bühne gegangen ist, wird ihm im September auch mit bürokratischen Mitteln auf den erkalteten Leib gerückt: Die Ferien sind zu Ende, das Wintersemester hat begonnen, der Ernst des Lebens, Ernesto de la Vida, nuestro Máximo Líder, streckt ungeduldig seine Hände nach uns aus, I want you, you, and you!
Vor ein paar Monaten, es war kurz nach meiner Ankunft im Haus, gab es einen Versuch Miras, mich in ein Gymnasium zu stecken, was ich natürlich ablehnte. Ich habe wirklich Besseres zu tun, außerdem braucht man mich hier im Haus, so lauteten damals meine Argumente. Nun unternehmen Mira und der Onkel einen neuerlichen Anlauf, in meine Bildungslaufbahn einzugreifen. Es gibt da im Oktober und November ’nen neuen Kurs, lässt sich der Onkel vernehmen, ’ne Art Schnupperkurs, bei dem du dich über mehrere Berufe informieren und Verschiedenes ausprobieren kannst. Mirela meinte, das wäre vielleicht das Richtige für dich. Der Oheim ist übrigens der Einzige im Haus, der Mira bei ihrem vollen Namen nennt, das nenn’ ich preußische Korrektheit. Bleibt mir vom Leib mit solchen Kursen, wehre ich ab, für so was hab’ ich wirklich keine Zeit und Geduld. Aber es wäre sicher gut, um deine Integration in Österreich voranzutreiben und sie auch offiziell gegenüber den Asylbehörden belegen zu können, versucht es der Onkel weiter. Ach, die sollen sich doch selber integrieren, die Damen und Herren vom Bundesabschiebeamt! Nino wird auch den Kurs besuchen, versucht Mira mich zu ködern. Ich weiß nicht, wie sie auf die Idee kommt, Fräulein Bakuradze könnte mich auch nur irgendwie hinter irgendwelchen Öfen hervorlocken, jedenfalls aber bleibe ich standhaft bei meiner Ablehnung.
Am nächsten Tag überlege ich es mir anders, als ich erfahre, dass nicht nur Nino, sondern auch Nicoleta an dem Kurs im Oktober teilnehmen wird. Vielleicht ist das ja keine schlechte Gelegenheit, an Fräulein Cubreacu und ihrer Geschichte dranzubleiben. Du hast recht, sage ich reuevoll zu Mira, es ist sicher gut, Integrationswillen zu beweisen. Sie lobt mich und lächelt mir zu, doch ich weise beides schroff zurück.
Der September ist nicht nur ein Monat des Neubeginns, sondern auch einer des Abschieds, und zwar nicht nur vom Sommer, sondern auch von Sibel und Afrim. Sibels zweimonatiges Praktikum ist vergangene Woche zu Ende gegangen, Sibel Gündüz weilt und wirkt und wandelt nicht mehr unter uns, sie verschwindet aus unseren Köpfen und unserem Leben, wie auch wir verschwinden aus ihrem Leben und ihrem Kopf. Ganz und gar und mit Haut und Haar wird sie sich wieder ihrem Studium widmen, wird zurückkehren zu ihrem jämmerlichen Freund, und in zehn Jahren wird sie fett und stumpfäugig sein, sie wird ihren jämmerlichen Ehemann hassen, und dann, dann erst wird sie zurückdenken an Kärnten, dann erst wird sie verstehen, was sie sich hat entgehen lassen. Doch es wird längst, längst wird es zu spät sein. Uns bleibt immer noch Kärnten, wird sie denken, doch sie irrt sich, denn in meiner Erinnerung wird es kein Kärnten und keine Sibel Gündüz mehr geben, schon jetzt ist der vergangene Sommer beinahe aus meinem Gedächtnis getilgt, Kärnten, Sibel, bitte wer, was, wie, wann?
Afrim hat uns gestern verlassen, er hat seine Sachen gepackt, doch dieses Flüchtlingspack hat ohnehin nicht viel zu packen. Man hat für ihn einen Platz in einem Heim im siebenten Bezirk gefunden, die Betreuung dort ist weniger intensiv als hier im Leo. Ach, Afrim, ich hoffe, dass du dadurch nicht noch mehr auf die schiefe Drogenbahn gerätst und eines Tages im Abgeschiebe landest. Auch wenn du oft ein Schmerz im Nacken warst und ein Großmaul, so wirst du uns trotzdem fehlen! Wer wird beim Mittagessen das große Wort führen, wer wird uns mit den neuesten Klingeltönen beglücken, wer den Esstisch versauen und wer mit Tomo streiten? Auch Letzterer ist nämlich niedergeschlagen, denn bei allen Reibereien, die es zwischen ihm und Afrim gab, konnten sich doch beide darauf verlassen, im anderen tagtäglich Widerspruch zu finden, und beide fanden darin Halt und Sicherheit. Aber so ist das eben in einer Wartehalle – es herrscht ein Kommen und Gehen, und jeder kommt und geht irgendwann zum Zug, um seine Reise fortzusetzen. Ich komme besuchen, sagte Afrim, als er sich gestern verabschiedete, und vom Lift her grinste er ein letztes Mal den Zurückbleibenden zu.
Beim
Weitere Kostenlose Bücher