Mohr im Hemd oder wie ich auszog die Welt zu retten
Mal, doch dann fühlt er plötzlich ein Stück Metall im Rücken. Sei still, schnauzt ihn einer der drei Schlepper an, und Manu ist still, und sie fahren an einigen im Wasser treibenden Leichen vorbei.
Manu schafft es, er erreicht das Gelobte Land. Von jetzt an wird alles gut, denn von jetzt an ist Manu Tomatenpflücker. Dreihundertfünfzig Kilo pro Stunde, das ist das Minimum, wer das nicht schafft, der kann gleich wieder gehen, sagt der Vorarbeiter. Manu erntet vierhundert Kilo, denn er möchte nicht gleich wieder gehen. Es ist heiß und stickig in den Gewächshäusern, der Rücken schmerzt, die Augen tränen von dem Gift, das in der Luft liegt, das an den Tomaten klebt, das Gift schleicht sich in die Lunge und ins Blut, aber die Europäer brauchen ja ihre Tomaten. Europa ist reich, in Europa leben alle im Überfluss, Manu lebt zusammen mit anderen Tomaten- und Gurken- und Erdbeerpflückern unter einem Dach aus Plastikplanen. Es gibt viele solche Hütten aus Holz und Plastik und Blech hier, sie bilden eine ganze Siedlung mit zwei- oder dreihundert Einwohnern, nebenan liegen ein Schrottplatz und ein Friedhof.
Manu pflückt Tomaten von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends, jeden Tag muss er sich erneut um Arbeit anstellen, arbeitet fünf, sechs, manchmal auch sieben Tage die Woche, meistens gibt es weniger Geld als vereinbart, manchmal auch gar keins. Beschwer’ dich doch, sagt der Mann, der ihm das Geld verweigert, beschwer’ dich nur, wiederholt er und lacht, und Manu pflückt weiter Tomaten, denn er ist Tomatenpflücker, und die Europäer brauchen billige Tomaten.
Eines Tages steigt er vom Tomatenpflücker zum Tomatenzerstücker auf, Gestückte Tomaten ist auf den Konservendosen zu lesen, die von einer riesigen, lauten Maschine befüllt werden. Es steht in verschiedenen Sprachen angeschrieben, auch auf Portugiesisch, Manu kann es lesen, wenn auch nur mit Mühe. Manu der Tomatenzerstücker weiß nicht, dass die Dosen auch in seine Heimat exportiert und dort für teures Geld verkauft werden, in Guinea gibt es ja keine Tomaten, denn dort, wo Tomaten wachsen könnten, stehen Cashewbäume. Er verliert die Arbeit bald wieder, auch dort bleibt man ihm Lohn schuldig, und er wird wieder zum Tomatenpflücker.
Eines Tages kommen Leute aus der nahe gelegenen Stadt in die Siedlung, sie sind wütend, Manu weiß nicht warum, denn er versteht ihre Sprache nicht. Sie sprechen aber ohnehin kaum, sie reißen und trampeln die Hütten nieder, schlagen wie wild auf Manus Nachbarn ein, einige davon sterben, manche gleich, andere erst Tage später im Krankenhaus. Manu hat sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht, in vorläufige Sicherheit, in trügerische Sicherheit, Manu weiß, sie wird nicht lange währen. Zusammen mit den anderen baut er die Hütten wieder auf, doch ein paar Tage später schlagen die Stadtbewohner erneut zu, und da beschließt Manu, der Tomatenpflücker, Spanien zu verlassen. Und irgendwie, irgendwann landet er schließlich in Österreich, in einem Land, von dem er noch nie gehört hat, in einem Land, in dem er so friert wie nie zuvor. In Österreich, das weiß Manu zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wird er keine Tomaten pflücken, und er wird auch sonst keiner Arbeit nachgehen, denn wie ihr alle wisst, will der Staat diese Arbeit nicht. Doch auch in Österreich, so schließe ich meine Erzählung, isst man gerne spanische Tomaten, denn spanische Tomaten sind billiger als österreichische Paradeiser. Und nun, liebe Mitbewohnerinnen und -bewohner, lasst euch die Tomaten schmecken, ich verabschiede mich heute von euch mit einem kleinen Lied: Zehn kleine Negerlein, die tanzten Ringelreih’n, sie tanzten durch die Sahara, da waren’s nur noch neun. Neun kleine Negerlein, man sah sie nicht bei Nacht, sie fuhren über’s Mittelmeer, da waren’s nur noch acht. Acht kleine Negerlein, die war’n nun also drüben, doch eines, das ist krank gewor’n, da waren’s nur noch sieben. Sieben kleine Negerlein, die trafen Kommissar Rex, der Kommissar fraß eines auf, da waren’s nur noch sechs. Sechs kleine Negerlein, die stahlen ein Paar Strümpf’, doch eines ward dabei erwischt, da waren’s nur noch fünf. Fünf kleine Negerlein, die blieben gerne hier, doch eines wurde abgeschob’n, da waren’s nur noch vier. Vier kleine Negerlein, die fühlten sich so frei, doch eines wurde eingesperrt, da waren’s nur noch drei. Drei kleine Negerlein, die kauften sich ein Ei, es reichte nicht für alle aus, da waren’s nur noch
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