Molly Becker 01 - Hilfe, ich bin reich
zählen mit Ihren Maschinen, sondern Geldscheine, oder dass Sie nicht mehr kleine Goldfische verkaufen, sondern größere Fische, Hechte oder Karpfen oder … Haie.«
»Haie?«
»Genau, Haie, und vielleicht sogar irgendwann einmal Wale «, sage ich begeistert. »Und ich könnte Ihnen helfen, Ihre Ziele zu erreichen.«
»Und wie? Ich meine, was müsste ich denn dazu verändern an mir?«
»Ach, da gäbe es vieles«, hole ich aus. »Ihre Frisur zum Beispiel, also, manche Friseure wurden wegen so was schon verklagt …« Seine Hand zuckt überrascht zu seinen Haaren hoch. Ich sehe, wie er die Augenbrauen zusammenzieht, aber jetzt bin ich so in Fahrt, dass ich gar nicht mehr aufhören kann. »… und dieses Sakko … Ist das ein Erbstück, oder was?« Er fasst sich unwillkürlich an die Aufschläge seines Sakkos. »… und Ihre Jeans – ich habe nichts gegen Jeans, ehrlich, aber für einen Geschäftsmann ist das ein absolutes No-Go … und bleich sind Sie, das schreit geradezu nach einem Solarium … und sicher bräuchten Sie noch ein paar Meditationseinheiten, damit Sie Ihre innere Mitte finden … Klassische Massage wäre auch nicht schlecht, Sie wirken ja total verkrampft … Und Ihre Zähne erst! Zu dunkel, viel zu dunkel … Und wie Sie sprechen, man versteht Sie ja kaum …«
»Wie bitte?« Alexander hat erstaunt die Augen aufgerissen.
Ich stoppe meinen Monolog, und jetzt erst nehme ich ihn wieder richtig wahr. Ich komme zu mir und atme tief aus. Dann starren wir uns ein paar Sekunden lang gegenseitig an.
»O mein Gott«, sage ich langsam.
»Was haben Sie denn?«, fragt er, und ich kann seinen Blick nicht richtig deuten. »Sind Sie schockiert, weil ich so eine totale Niete bin?«
»Aber nein … Alexander, es tut mir ja so leid … Ich wollte das alles nicht sagen, ehrlich … Sehen Sie, das ist es!«
»Was ist was?«, fragt er verständnislos.
»Diese Schulungen, dieser verdammte Drill meiner Chefin, dass ich den Leuten alles Mögliche aufschwatzen soll, da gerät man mit der Zeit völlig außer Kontrolle. Es geht nur noch um Umsätze, darum, dem Kunden unsere Produkte aufzuschwatzen, egal, ob er sie braucht oder nicht. Stellen Sie sich vor, letztes Mal hat sie von mir verlangt, dass ich meinen Kunden Schönheitsoperationen verkaufen soll, neue Nasen und Gesichtsstraffungen und den Männern größere Penisse!«
»Größere Penisse ?« Jetzt ist er es, der sich fast an seinem Bier verschluckt.
»Genau! Ich meine, das geht doch wirklich zu weit, oder? Ich weiß doch nicht mal, ob die … ich meine … wie die gebaut sind«, stottere ich. Hastig nehme ich einen kräftigen Schluck, um Zeit zu gewinnen und meine Gedanken wieder zu ordnen. »Verstehen Sie, was ich damit sagen will, Alexander? Ich mag diesen Beruf, und ich finde auch das Konzept von Winners only grundsätzlich gut, aber ich finde, wir müssten da viel mehr auf die wirklichen Bedürfnisse der Menschen eingehen. Herrn Lehmann zum Beispiel, einem meiner ersten Kunden, habe ich nur geraten, dass er seine total hässliche Brille weglassen soll, und das hätte eigentlich schon gereicht. Auf einmal sah er richtig niedlich aus.«
»Fand er das auch?«, fragt Alexander, der mir aufmerksam zugehört hat.
»Ich denke, ja, aber genau weiß ich es nicht. Ich musste ihm die Brille dann ja wieder mitgeben, weil er ohne sie gleich gegen den Türstock gerannt ist. Meine Chefin hat mich daraufhin sofort zur Schnecke gemacht, und beim nächsten Mal musste ich ihm das volle Programm verkaufen – neue Frisur, neue Klamotten, Solarium und sogar gezupfte Augenbrauen –, und jetzt sieht er aus wie der reinste Modeaffe, komplett unnatürlich, echt.« Ich muss erst mal tief durchatmen, um meine Empörung zu verdauen.
Dann bemerke ich auf einmal Alexanders Grinsen.
»Was denn?«, fauche ich. »Finden Sie das etwa lustig?«
»Nein, überhaupt nicht.« Er macht eine beschwichtigende Geste. »Im Gegenteil, ich bin jetzt sogar wieder beruhigt.«
»Beruhigt? Wieso?«
»Na, als Sie vorhin so loslegten, da befürchtete ich schon, Sie würden mich komplett auseinandernehmen und wieder neu zusammenstellen, mit Haaren wie Bon Jovi, Glitzerjackett und Riesenpenis, damit ich meine innere Mitte leichter finde.«
Ich brauche eine Sekunde, bis ich alles kapiere, dann prusten wir beide los. Von einer Sekunde auf die andere wird mir bewusst, wie wohl ich mich fühle, und ehrlich gesagt verstehe ich das gar nicht. Wieso hier, wieso in dieser düsteren Spelunke und mit diesem
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