Momentum
erschlaffte und buchstäblich den Geist aufgab. Jetzt hat die Chinesin zwei Kätzchen ohne Namen und eben ein Buch gekauft mit dem Titel »Wie finde ich einen Kätzchen-Namen?« Sie behauptet, ihre Kätzchen seien bewohnt, getrieben, »in-hi-bi-ted«, verstehen Sie? Die zweite Chinesin würde der Frage gern weiter nachgehen.
Der Gastgeber dieses Gelages, ein Amerikaner vom Typus des welken Sünders, hat aber sein eigenes Thema und setzt in seiner Geschichte übergangslos dort an, wo andere vielleicht ausblenden würden: »So, I came home, fucked my wife twice …« Die beiden Chinesinnen haben die schweren Köpfe in ihre kleinen braunen Fäuste gestemmt und nicken: Nur zu, auch das ist die Liebe.
Mir fällt aber plötzlich dieser Mörder in einem Roman von Zola ein, ein Lustmörder, der seine Tat gesteht, auch die Details nicht ausspart, sich aber schämt, zuzugeben, dass er einmal den Strumpf einer Frau küsste. Die rohe Begierde ist auch in der Rede des Amerikaners schamloser als die zarte Empfindung. Die Chinesinnen versuchen unterdessen, »Kitty« als den idealen Kätzchennamen ins Spiel zu bringen.
Gleich hinter der chinesischen Grenze, an der Mündung des Perlflusses, beginnt Portugal und mit ihm das Wunderland. Denn in Macao, der ältesten europäischen Niederlassung im Fernen Osten, trat man 1680 aus China heraus, unter das Protektorat der Portugiesen und also wieder in den Schatten barocker Kathedralen und Basiliken, strenger katholischer Mädchen-Lehranstalten und der Paläste christlicher Wohltätigkeit.
Das ist das Klima für Gomorrha! Denn der Besucherstrom fließt weniger in die Kirchen als in die schwimmenden Casinos, das »Macao Palace«, das »Riverboat Casino«, das »Lisboa« und all die anderen mehrstöckigen Vergnügungsstätten mit ihren chinesischen Slotmachines, ihren Tischen für Fan-Tan, Daisiu und Keno oder für Roulette, Blackjack oder Boule.
Die Spieler kommen mit Zeitungen über dem Kopf durch den Regen gerannt. Sie tragen Straßenkleidung, tauchen in das grüne Streulicht der Deckenlampen im Schiffsbauch, nehmen als Gaffer teil an der Zeremonie des Kartenaufdeckens und spucken erst mal aus, dann noch mal, auf die Planken. Dazu sortieren sie ihr Geld in der gewölbten Handfläche, picken es aus der Weste, ertauchen es im Hosensack oder pfeffern es gleich aus der Faust auf den Spieltisch.
Als Croupiers arbeiten meist junge Mädchen mit einem Teint so weiß wie Mehl. Die Karten rinnen ihnen durch die Hände, während die unbewegten Gesichter über die Tische dahingehen mit schläfriger Konzentration. Manchmal stoßen die Finger herab, greifen in den Roulettekessel, korrigieren, sortieren aus. Die Gesichter sind immer noch unbewegt, die Blicke treffen keinen Blick, bloß den Tisch, die Karten, den Tisch, die Karten. Für die Mädchen ist dies ein menschenleeres Spiel. Dass sie aber leben, nicht nur funktionieren, erkennt man, wenn sie von Zeit zu Zeit unter dem Tisch an ihren Sachen nesteln, Döschen mit Eukalyptuspaste öffnen und sich Balsam unter die Nüstern schmieren, dann niesen, dann noch mal nachfetten. Zuletzt atmen sie tief durch, stellen ihren Blick wieder scharf und herrschen.
Draußen auf den Pontons über dem Fluss sitzen die der Spielsucht Verfallenen und haben diesen Fanatismus im Blick, beim Gedanken an die Chips, die noch irgendwo in den Arterien des Spielbetriebes zirkulieren, doch für sie verloren sind. Es liegt die schwere Schwüle der Brackwasserluft über dem Ponton. Als ich aber meinen letzten Jeton an die Nase führe, hat er das Aroma einer Szene angenommen und duftet ganz leicht und frisch nach den Händen der Croupier-Mädchen und ihrer Eukalyptussalbe, deren Film sie auf der Oberfläche des Plastikstücks zurückgelassen haben.
Die ersten Schritte in die Tiefe des tropischen Regenwaldes, sie fühlen sich an wie das Eindringen in eine Kathedrale, wo sich die Staubteilchen vom Boden heben und auf dem Licht in die Höhe schweben und wo ein Klang sich löst und in das Gewölbe steigt, hinauf in das Licht über der Vierung des Blätterdachs, wo sich wie zum ersten Mal der Raum dem Geräusch eines Schrittes öffnet.
Der Dreijährige setzt sich auf den Schoß der Mutter, schnappt sich ihre Brust aus dem Hemd, sitzt, nach rechts saugend, nach links äugend da, arbeitet, süffelt. Seine Schnute kaut die Mutterbrust, die Augen insistieren auf der Betrachtung eines Gesichts nebenan, die Mutter spricht unbeirrt zu ihrer Nachbarin. Zwei Fahnen flattern sehr
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