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Momentum

Momentum

Titel: Momentum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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die Ewigkeit eines Lebens ein, das hierbleibt, während sich die Satellitenschüsseln auf dem Dach suchend in alle Himmelsrichtungen wenden.
    Doch da sind ja auch noch die beiden Frauen am Nebentisch, die Blonde mit dem Pferdeschwanz und dem breiten Ehering, die Schwarzhaarige mit der Ratlosigkeit im Gesicht und dem Whiskey Soda vor sich. Sie verlangen nach Wolldecken, die sie dann um die Schultern legen, blaue, karierte Autodecken, unter denen die rote Rüschenbluse verschwindet und das ärmellose Hemd auch der jüngeren, früher betagten.
    Sie werden solidarisch Salat essen, während die angejahrte Business Lady mit dem jungen Knacker, kaum, dass sie sitzen, schon Fleisch bestellt haben. Ihm fehlt ein Schneidezahn, hat er sich geprügelt? Aber fünf gelbrot changierende Zuchtrosen hat er ihr mitgebracht, die dem Paar in einem geriffelten Pressglas nachgetragen werden. Erst sitzt er ihr gegenüber, dann rückt er im rechten Winkel heran, schließlich schmiegt er sich dicht an sie, breitet irgendeine Sorge aus, die sie anhört mit der Güte einer Sichherablassenden, die sich die Zeit nimmt, anzuhören, dass ihr Lover auch so seine Probleme hat. Sie schlenkert ihre modische Sonnenbrille mit dem weißen Rahmen, während sie phlegmatisch gestikuliert. Die Probleme kommen ihr in die Quere, sie altert gerade. Auch die Rosen wären ihr lieber gewesen, hätten sie nicht ein Problem im Schlepptau gehabt. Selbst, dass sie einen Prosecco mit Eis trinkt, er aber einen Orangensaft mit Strohhalm, kommt ihr nicht entgegen, sagt ihr Gesicht.
    Der Blues ist jetzt Dean Martin gewichen, der auch von einer Zeit singt, in der Männer zu einem Strauß Rosen weder Zahnlücken noch Existenzfragen mitbrachten. Andererseits haben der Ehrgeiz, die Enttäuschung und die Strapazen des Täglichen ihr Gesicht ja auch härter werden lassen, als ihr lieb ist, und bleich ist sie auch wie der Kranz Hornhaut an ihrer Ferse, der unter den goldenen Riemchen ihrer Sandalen den Absatz überragt. Das Gute an seinen Problemen ist, dass er ihr zuhört, während sie sie kommentiert. Es wird auf Tarife hinauslaufen. Wie gut, dass das Mobiltelefon klingelt, als die Ratlosigkeit einsetzt und niemand hört, dass die Musik in diesem Augenblick »The Way You Look Tonight« anstimmt.
    Auf dem Balkon gegenüber steht jetzt ein Einzelner und raucht. Die Wolken, die er in den blauen, frühabendlichen Himmel bläst, sind noch von hier unten vom Blau des Firmaments unterscheidbar, in dem sie sich auflösen, während die Lady und der junge Mann sich im Torbogen umsehen, in den Hof blicken, aber nicht ahnen, dass es perfekt war. Sie wollen nur nachsehen, dass sie nichts vergessen haben. Doch sie haben.
     
    »Nach Jurmala«, habe ich zur Schaffnerin gesagt. Das sagt sich so leicht. Die Schaffnerin aber ist streng, sie muss die Tarifzonen und -klassen synchronisieren, Tabellen aus der Uniformjacke nesteln, Zahlenkolonnen mit dem Zeigefinger abfahren, und auch meine Fragen sind lästig und fremdsprachig. Der Strand von Jurmala ist einzig – eine Frau hatte mir von ihm erzählt und war kurze Zeit später gestorben.
    Ein riesiger Ballsaal voller kommender, dann vom Wind weggetragener Stimmen ist er heute, gelöst daraus das Reibeisenschnarren der alten Frauen mit ihren Sonnenhüten, ihren Utensilien, ihrer Ausrüstung für alles. Eine Sexbombe kommt heran, am einen Arm einen Mann, am anderen eine Pigmentstörung. Sie hustet weich und gurgelnd und führt ihn spazieren, den Willenlosen.
    Eine Frau aber geht direkt auf mich zu, aus der Unschärfe der Ferne lösen sich die vertrauten Züge. Tatsächlich, es ist die Zugschaffnerin, ein bisschen verlegen, vielleicht ihres Bikinis wegen, ein bisschen stolz auf die Privatheit dieses freien Montags. Sie sagt ganz galant:
    »Sie haben für Ihre Zeit die beste Verwendung gefunden.«
    »Und Ihnen tut das Meer auch gut«, erwidere ich.
    Sie blickt auf eine Möwe, weil sie schreit, dann auf zwei Schwäne, weil sie nichts tun. Wenn man für die Beobachtung von Menschen Boote mieten, weit herausfahren und Geduld aufbringen müsste, würde man es auch tun und rufen: Da, ein Nestflüchter! Ein Steuerzahler! Ein Bademeister!
    »Es ist so ein schöner Tag«, bemerkt sie, aber ihr Gesicht sagt, dass er es nicht ist, während ich die Kondensstreifen entlangblicke, die kreuz und quer über den Himmel gehen und die Motivkontraste verstärken. Paare haben sich im Sand ausgebreitet und freuen sich am Verlust ihrer Heimlichkeiten.
    »Man ist richtig

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