Momo
groß an und sagte nichts.
„Sei nicht traurig“, fuhr Gigi fort, „daß unser Plan nicht so gelungen ist, wie wir dachten. Ich hatte mir auch was anderes vorgestellt. Aber trotzdem – eigentlich hat es doch Spaß gemacht! Es war großartig.“
Da Momo beharrlich schwieg, fuhr er ihr tröstend durch die Haare und fügte hinzu: „Nimm's doch nicht so schwer, Momo. Morgen sieht alles schon wieder ganz anders aus. Wir denken uns einfach was Neues aus, eine neue Geschichte, ja?“
„Das war keine Geschichte“, sagte Momo leise. Gigi stand auf. „Ich versteh' schon, aber wir reden morgen weiter darüber, einverstanden? Ich muß jetzt los, ich bin sowieso schon zu spät dran. Und du solltest dich jetzt schlafen legen.“ Und er ging, sein melancholisches Lied pfeifend, davon. So blieb Momo ganz allein in dem großen steinernen Rund sitzen. Die Nacht war sternenlos. Der Himmel hatte sich mit Wolken bedeckt. Ein seltsamer Wind erhob sich. Er war nicht stark, aber unablässig, und er war von einer eigentümlichen Kälte. Es war sozusagen ein aschengrauer Wind.
Weit draußen vor der großen Stadt erhoben sich die gewaltigen Müllhalden. Es war ein richtiges Gebirge aus Asche, Scherben, Blechbüchsen, alten Matratzen, Plastikresten, Pappschachteln und all den anderen Sachen, die in der großen Stadt jeden Tag weggeworfen wurden und die hier darauf warteten, nach und nach in die riesigen Verbrennungsöfen zu wandern.
Bis spät in die Nacht hinein half der alte Beppo, zusammen mit seinen Kollegen, den Müll von den Lastwagen zu schaufeln, die in langer Reihe und mit leuchtenden Scheinwerfern standen, um entladen zu werden. Und je mehr abgefertigt waren, desto mehr hatten sich schon wieder an die Reihe angeschlossen.
„Eilt euch, Leute!“ hieß es ständig. „Los, los! Sonst werden wir nie fertig!“
Beppo hatte geschaufelt und geschaufelt, bis ihm das Hemd am Leibe klebte. Gegen Mitternacht endlich war es vorüber. Da Beppo ja schon alt und sowieso nicht gerade von sehr kräftiger Statur war, saß er nun erschöpft auf einer umgekehrten, zerlöcherten Plastikwanne und versuchte, zu Atem zu kommen.
„He, Beppo“, rief einer seiner Kollegen, „wir fahren jetzt heim. Kommst du mit?“
„Einen Augenblick“, sagte Beppo und drückte die Hand auf sein Herz, das weh tat.
„Ist dir nicht gut, Alter?“ fragte ein anderer.
„Ist schon in Ordnung“, antwortete Beppo, „fahrt nur schon los. Ich ruhe mich nur noch einen Augenblick aus.“
„Also dann“, riefen die anderen, „gute Nacht!“ Und sie fuhren weg. Es wurde still. Nur die Ratten raschelten da und dort im Müll und pfiffen manchmal. Beppo schlief ein, den Kopf in seine Arme gestützt. Wie lange er so geschlafen hatte, wußte er nicht, als ihn plötzlich ein kalter Windstoß weckte. Er blickte auf und war mit einem Schlag hellwach.
Auf dem ganzen riesigen Müll-Gebirge standen graue Herren in feiner Anzügen, runde steife Hüte auf den Köpfen, bleigraue Aktentaschen in den Händen und kleine graue Zigarren zwischen den Lippen. Sie alle schwiegen und blickten unverwandt zur höchsten Stelle der Müllhalde, wo eine Art Richtertisch aufgebaut war, hinter dem drei Herren saßen, die sich sonst in nichts von den Übrigen unterschieden. Im ersten Augenblick durchfuhr Beppo Angst.
Er fürchtete, entdeckt zu werden. Hier durfte er nicht sein, das war ihm klar, ohne daß er darüber nachdenken mußte.
Aber dann bemerkte er bald, daß die grauen Herren wie gebannt zu dem Richtertisch hinaufblickten. Vielleicht sahen sie ihn überhaupt nicht, oder vielleicht hielten sie ihn einfach für irgendeine weggeworfene Sache. Jedenfalls beschloß Beppo, sich mucksmäuschenstill zu verhalten.
„Der Agent BLW/553/c möge vor das Hochgericht treten!“ erscholl in die Stille hinein die Stimme des Herren, der oben am Tisch in der Mitte saß.
Der Ruf wurde weiter unten wiederholt und erklang wie ein zweites Echo nochmals weit entfernt. Dann öffnete sich eine Gasse in der Menge, und ein grauer Herr stieg langsam die Müllhalde hinauf. Das einzige, was ihn von allen anderen deutlich unterschied, war, daß das Grau seines Gesichtes fast weiß war. Endlich stand er vor dem Richtertisch.“Sie sind Agent BLW/553/c?“ fragte der in der Mitte.
„Jawohl.“
„Seit wann arbeiten Sie für die Zeit-Spar-Kasse?“
„Seit meiner Entstehung.“
„Das versteht sich von selbst. Sparen Sie sich solche überflüssigen Bemerkungen! Wann sind Sie entstanden?“
„Vor elf Jahren, drei Monaten,
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