Momo
sein.
Als das Sternenpendel sich nun langsam immer mehr dem Rande des Teiches näherte, tauchte dort aus dem dunklen Wasser eine große Blütenknospe auf. Je näher das Pendel kam, desto weiter öffnete sie sich, bis sie schließlich voll erblüht auf dem Wasserspiegel lag. Es war eine Blüte von solcher Herrlichkeit, wie Momo noch nie zuvor eine gesehen hatte. Sie schien aus nichts als leuchtenden Farben zu bestehen. Momo hatte nie geahnt, daß es diese Farben überhaupt gab. Das Sternenpendel hielt eine Weile über der Blüte an, und Momo versank ganz und gar in den Anblick und vergaß alles um sich her. Der Duft allein schien ihr wie etwas, wonach sie sich immer gesehnt hatte, ohne zu wissen, was es war. Doch dann schwang das Pendel langsam, langsam wieder zurück. Und während es sich ganz allmählich entfernte, gewahrte Momo zu ihrer Bestürzung, daß die herrliche Blüte anfing zu verwelken. Ein Blatt nach dem anderen löste sich und versank in der dunklen Tiefe. Momo empfand es so schmerzlich, als ob etwas Unwiederbringliches für immer von ihr fortginge.
Als das Pendel über der Mitte des schwarzen Teiches angekommen war, hatte die herrliche Blüte sich vollkommen aufgelöst. Gleichzeitig aber begann auf der gegenüberliegenden Seite eine Knospe aus dem dunklen Wasser aufzusteigen. Und als das Pendel sich dieser nun langsam näherte, sah Momo, daß es eine noch viel herrlichere Blüte war, die da aufzubrechen begann. Das Kind ging um den Teich herum, um sie aus der Nähe zu betrachten.
Sie war ganz und gar anders als die vorhergehende Blüte. Auch ihre Farben hatte Momo noch nie zuvor gesehen, aber es schien ihr, als sei diese hier noch viel reicher und kostbarer. Sie duftete ganz anders, viel herrlicher, und je länger Momo sie betrachtete, um so mehr wundervolle Einzelheiten entdeckte sie.
Aber wieder kehrte das Sternenpendel um, und die Herrlichkeit verging und löste sich auf und versank, Blatt für Blatt, in den unergründlichen Tiefen des schwarzen Teiches.
Langsam, langsam wanderte das Pendel zurück auf die Gegenseite, aber es erreichte nun nicht mehr dieselbe Stelle wie vorher, sondern es war um ein kleines Stück weitergewandert. Und dort, einen Schritt neben der ersten Stelle, begann abermals eine Knospe aufzusteigen und sich allmählich zu entfalten.
Diese Blüte war nun die allerschönste, wie es Momo schien. Dies war die Blüte aller Blüten, ein einziges Wunder! Momo hätte am liebsten laut geweint, als sie sehen mußte, daß auch diese Vollkommenheit anfing, hinzuwelken und in den dunklen Tiefen zu versinken. Aber sie erinnerte sich an das Versprechen, das sie Meister Hora gegeben hatte, und schwieg still. Auch auf der Gegenseite war das Pendel nun einen Schritt weiter gewandert, und eine neue Blume stieg aus den dunklen Wassern auf.
Allmählich begriff Momo, daß jede neue Blume immer ganz anders war als alle vorherigen, und daß ihr jeweils diejenige, die gerade blühte, die allerschönste zu sein schien.
Immer rund um den Teich wandernd, schaute sie zu, wie Blüte um Blüte entstand und wieder verging. Und es war ihr, als könne sie dieses Schauspiels niemals müde werden.
Aber nach und nach wurde sie gewahr, daß hier immerwährend noch etwas anderes vorging, etwas, das sie bisher nicht bemerkt hatte. Die Lichtsäule, die aus der Mitte der Kuppel herniederstrahlte, war nicht nur zu sehen – Momo begann sie nun auch zu hören! Anfangs war es wie ein Rauschen, so wie von Wind, den man fern in den Wipfeln der Bäume hört.
Aber dann wurde das Brausen mächtiger, bis es dem eines Wasserfalls glich oder dem Donnern der Meereswogen gegen eine Felsenküste.
Und Momo vernahm immer deutlicher, daß dieses Tosen aus unzähligen Klängen bestand, die sich untereinander ständig neu ordneten, sich wandelten und immerfort andere Harmonien bildeten. Es war Musik und war doch zugleich etwas ganz anderes. Und plötzlich erkannte Momo sie wieder: Es war die Musik, die sie manchmal leise und wie von fern gehörte hatte, wenn sie unter dem funkelnden Sternenhimmel der Stille lauschte.
Aber nun wurden die Klänge immer klarer und strahlender. Momo ahnte, daß dieses klingende Licht es war, das jede der Blüten in anderer, jede in einmaliger und unwiederholbarer Gestalt aus den Tiefen des dunklen Wassers hervorrief und bildete. Je länger sie zuhörte, desto deutlicher konnte sie einzelne Stimmen unterscheiden.
Aber es waren keine menschlichen Stimmen, sondern es klang, als ob Gold und Silber und alle anderen
Weitere Kostenlose Bücher