Momo
einhalten, damit auch wirklich alle, die dafür bezahlt hatten, Gelegenheit fanden, ihn zu hören. Schon damals begann Momo ihm sehr zu fehlen, denn seine Geschichten hatten keine Flügel mehr, obgleich er sich noch immer standhaft weigerte, die gleiche Geschichte zweimal zu erzählen, selbst als ihm das doppelte Geld dafür geboten wurde.
Nach wenigen Monaten hatte er es nicht mehr nötig, beim alten Amphitheater aufzutreten und mit der Mütze herumzugehen. Der Rundfunk holte ihn und wenig später sogar das Fernsehen.
Dort erzählte er nun dreimal wöchentlich vor Millionen von Zuhörern seine Geschichten, und er verdiente eine Menge Geld.
Inzwischen wohnte er auch nicht mehr in der Nähe des alten Amphitheaters, sondern in einem ganz anderen Stadtteil, dort wo alle reichen und berühmten Leute wohnten. Er hatte eine großes modernes Haus gemietet, das mitten in einem gepflegten Park lag. Er nannte sich auch nicht mehr Gigi, sondern Girolamo.
Natürlich hatte er längst aufgehört, wie früher immer neue Geschichten zu erfinden. Er hatte gar keine Zeit mehr dazu.
Er begann haushälterisch mit seinen Einfällen umzugehen. Aus einem einzigen machte er jetzt manchmal fünf verschiedene Geschichten. Und als auch das nicht mehr genügte, um der immer noch zunehmenden Nachfrage gerecht zu werden, tat er eines Tages etwas, das er nicht hätte tun dürfen: Er erzählte eine der Geschichten, die Momo ganz allein gehörte.
Sie wurde ebenso hastig verschlungen wie alle anderen und war sofort wieder vergessen. Man forderte weitere Geschichten von ihm. Gigi war so benommen von diesem Tempo, daß er, ohne sich zu besinnen, hintereinanderweg alle Geschichten preisgab, die nur für Momo bestimmt gewesen waren. Und als er die letzte erzählt hatte, fühlte er plötzlich, daß er leer und ausgehöhlt war und nichts mehr erfinden konnte. In seiner Angst, der Erfolg könne ihn wieder verlassen, begann er alle seine Geschichten noch einmal zu erzählen, nur mit neuen Namen und ein bißchen verändert. Und das Erstaunliche war, daß niemand es zu bemerken schien. Jedenfalls beeinträchtigte es die Nachfrage nicht. Daran hielt Gigi sich fest wie ein Ertrinkender an einer Holzplanke. Denn nun war er doch reich und berühmt –, und war es nicht das gewesen, wovon er immer geträumt hatte? Aber manchmal des Nachts, wenn er in seinem Bett mit der seidenen Steppdecke lag, sehnte er sich zurück nach dem anderen Leben, wo er mit Momo und dem alten Beppo und den Kindern hatte Zusammensein können und wo er wirklich noch zu erzählen verstanden hatte.
Aber dorthin führte kein Weg zurück, denn Momo war und blieb verschwunden. Anfangs hatte Gigi einige ernstliche Versuche gemacht, sie wiederzufinden, später war ihm dazu keine Zeit mehr geblieben. Er hatte nun drei tüchtige Sekretärinnen, die für ihn Verträge abschlössen, denen er seine Geschichten diktierte, die Reklame für ihn machten und seine Termine regelten. Aber ein Termin für die Suche nach Momo ließ sich niemals mehr einschieben. Von dem alten Gigi war nur noch wenig übriggeblieben. Aber eines Tages raffte er dieses wenige zusammen und beschloß, sich auf sich selbst zu besinnen. Er war doch nun jemand, so sagte er sich, dessen Stimme Gewicht hatte und auf den Millionen hörten. Wer, wenn nicht er, konnte den Menschen die Wahrheit sagen! Er wollte ihnen von den grauen Herren erzählen! Und er wollte dazu sagen, daß dies keine erfundene Geschichte sei und daß er alle seine Zuhörer bitte, ihm bei der Suche nach Momo zu helfen.
Diesen Entschluß hatte er in einer jener Nächte gefaßt, in denen er sich nach seinen alten Freunden sehnte. Und als die Morgendämmerung kam, saß er bereits an seinem großen Schreibtisch, um sich Notizen zu seinem Plan zu machen. Doch ehe er noch das erste Wort niedergeschrieben hatte, schrillte das Telefon. Er hob ab, horchte und erstarrte vor Entsetzen.
Eine seltsam tonlose, sozusagen aschengraue Stimme sprach zu ihm, und er fühlte gleichzeitig eine Kälte in sich aufsteigen, die aus dem Mark seiner Knochen zu kommen schien.
„Laß das sein!“ sprach die Stimme. „Wir raten es dir im Guten.“
„Wer ist da?“ fragte Gigi.
„Das weißt du ganz gut“, antwortete die Stimme. „Wir brauchen uns wohl nicht vorzustellen. Du hast zwar bisher noch nicht persönlich das Vergnügen mit uns gehabt, aber du gehörst uns schon längst mit Haut und Haar. Sag nur, du wüßtest das nicht!“
„Was wollt ihr von mir?“
„Was du dir da vorgenommen hast,
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