Mona Lisa Overdrive
Gesicht zucken. »Was zaudert ihr hier. Schwesterlein, wo doch die Hochzeit vorbereitet ist?«
Angies Gesicht entkrampfte sich, wurde das alte. Als dünner, glänzender Strich lief Blut aus ihrem linken Nasenloch. Sie öffnete die Augen, blinzelte ins Licht. »Wo ist sie?« fragte sie Mona.
»Weg«, sagte Mona. »Sagte, ich soll hier bei dir bleiben ...«
»Wer?« fragte Cherry.
»Molly«, antwortete Mona. »Die am Steuer saß ...«
Cherry wollte einen gewissen Slick finden. Mona wollte, daß Molly zurückkäme und sagte, was zu tun sei, während Cherry keine Lust hatte, unten auf dem Fabrikboden zu bleiben, weil draußen diese Leute mit Gewehren waren, wie sie sagte. Mona erinnerte sich an den Knall, den seitlichen Aufprall; sie ließ sich von Cherry das Lämpchen geben und ging dorthin zurück. Da war ein Loch, durch das eben ihr Finger paßte, in halber Höhe der rechten Seite, und ein noch größeres — zwei Finger breit — an der linken.
Cherry sagte, sie sollten besser hoch gehen, wo vermutlich auch Slick war, bevor diesen Leuten einfiel, hier einzudringen. Mona war unschlüssig.
»Kommt schon«, sagte Cherry. »Slick ist bestimmt droben bei Gentry und dem Count...«
»Was hast du gerade gesagt?« Und es war Angie Mitchells Stimme, genau wie im Stim.
Wo immer sie auch waren, es war verdammt kalt, als sie aus dem Hovercraft kamen — Mona
war nackt an den Beinen — , aber es dämmerte endlich: sie konnte rechteckige Formen erkennen, vermutlich Fenster im ersten Dämmerlicht. Das Mädchen, das Cherry hieß, führte sie, führte sie nach oben, wie sie sagte, wobei sie immer wieder das Schlüsselbundlicht kurz anknipste, um sich zu orientieren. Dicht hinter ihr folgte Angie, Mona bildete die Nachhut.
Mona verfing sich mit der Schuhspitze in etwas, das raschelte. Sie bückte sich, um sich zu befreien, und fand so eine Plastiktüte. Klebrig. Innen drin kleine, harte Dinger. Sie holte tief Luft, richtete sich auf und steckte die Tüte in die Seitentasche von Michaels Jacke.
Dann ging's diese schmale, steile Treppe hinauf, die fast schon eine Leiter war, wobei Angies Pelz über Monas Hand am rauhen, kalten Geländer bürstete. Nach einem Absatz die nächste Treppe und noch'n Absatz. Von irgendwoher zog es.
»Ist so was wie 'ne Brücke«, sagte Cherry. »Man muß halt schnell drüber, okay, weil das Ding wackelt...«
Hoher weißer Raum, Regale, die sich bogen vor lauter Büchern, abgegriffenen, vergilbten (da mußte sie an den Alten denken), Gewirr aus Konsolen und Kabeln überall, magerer Typ in Schwarz mit glühenden Augen und zurückgebundenen Haaren, was man in Cleveland einen
Fighting Fish* nannte, Lachen, als er sie sah, und 'n Toter — mit so was, mit all so was hatte sie nicht gerechnet.
Mona hatte schon Tote gesehn, zur Genüge gesehn und merkte, wann einer tot war. An der
Farbe. In Florida legte sich manchmal jemand auf einen Pappendeckel am Gehsteig vor der
Penne. Stand einfach nicht mehr auf. Kleidung und Haut hatten sowieso schon die Farbe vom Gehsteig, aber die änderte sich, wenn sie krepierten, da zeigte sich drunter ein anderer Ton. Dann kam der weiße Lkw. Denn sonst, sagte Eddy, würden sie aufdunsen. Wie Mona mal 'ne Katze gesehn hatte, die war aufgebläht wie ein Basketball, lag auf dem Rücken, Beine und Schwanz standen brettsteif ab, und darüber mußte Eddy lachen.
Und nun lachte dieser Wiz-Künstler — Mona sah das an den Augen — und Cherry, die stöhnte dumpf, und Angie stand bloß da.
»Okay, alle miteinander«, hörte sie jemand sagen — Molly — wandte sich um, sah sie in der offenen Tür stehen mit einer kleinen Knarre in der Hand neben einem großen Kerl mit fettigem Haar, der blöd wie ein Holzklotz dreinsah, »keiner rührt sich, bis ich euch durchgecheckt habe.«
Der dürre Typ lachte bloß.
»Schnauze!« sagte Molly, als würde sie über was nachdenken. Sie schoß, ohne überhaupt auf die Waffe zu schauen. Blauer Lichtblitz an der Wand neben seinem Kopf, und Mona dröhnten die Ohren dermaßen, daß sie nichts mehr hörte.
Der magere Typ krümmte sich zusammen, versteckte den Kopf zwischen den Knien.
Angie ging zur Bahre, wo der Tote lag, bei dem man nur noch
* Fighting Fish: dt. Kampffisch (mit Schleierschwanz). — $QP G hEHUV
das Weiße in den Augen sah. Langsam, ganz langsam, als würde sie unter Wasser, gehen, und dieser Ausdruck auf ihrem Gesicht...
Monas Hand in der Jackentasche machte sich selbständig, probierte was. Betastete die Tüte, die
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