Mona Lisa Overdrive
»Jetzt ohne Scheiß.«
michael nagula
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William Gibson und der Cyberpunk
»Ist er eine authentische Kategorie oder bezieht er sich auf nichts Substantielles?«
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Man kann den Cyberpunk als Modebewegung abtun, die dem Trend der Zeit gehorchend kurz
aufloderte und wiedererlosch, man kann es Rudy Rucker gleichtun und erklären, er sei bloß das Wort, das der amerikanische SF-Herausgeber Gardner Dozois geprägt habe, um die Texte von William Gibson zu beschreiben — gerecht wird man diesem Phänomen, das in der ersten Hälfte der achtziger Jahre als wesentliche neue Strömung auf dem Gebiet der Science Fiction auftauchte, damit nicht. Delanys Frage, an den Cyberpunk gerichtet, aber ebensogut auf Gibson als den Auslöser dieser Bewegung beziehbar, bezeichnet das ganze Dilemma, das sich einstellt, wenn man festzuhalten versucht, was das eigentlich ist — Cyberpunk. Seit der Begriff zum ersten Mal auftauchte, 1984, im Zusammenhang mit Gibson, ist die Diskussion darüber nicht mehr abgebrochen. 1984, das war zu einer Zeit, als Orwells düster dräuende Visionen ihren prophezeienden Charakter verloren und sich im Bewußtsein vieler Leser als konkret erfahrene Realität verankerten. Es war dies eine Realität, die man künftig als Erbe anzusehen hatte, das in Zukunftsentwürfe gleich welcher Art einbezogen werden mußte, nicht mehr als etwas, das bloß fiktiven Wert besaß — und damit keinen. Cyberpunk formulierte erstmals diese Betroffenheit, er formulierte die Verschmelzung von Punkattitüden, wie sie in Zeiten des Aufbruchs und der Destruktion herrschen, mit der Vorstellung vom eigenen Selbst als Cyborg, als eine jener
Menschmaschinen, deren Geist im Kerker des Körpers gefangen ist, der sich als bloße
Ansammlung jederzeit austauschbarer Einzelteile erweist. Für sich genommen waren das
vertraute Themen der Science Fiction, doch nun wurden erstmals die Konsequenzen daraus für das Wesen des Menschen gezogen. Den Menschen in Körper und Seele zu scheiden, war nicht mehr möglich, nur noch in das reine Material einerseits und den bloßen Informationsfluß
andererseits. Der wahre Gehalt von Identität erschöpfte sich damit in maschinellen Konstrukten, Binäroperationen, in denen das menschliche Bewußtsein sich nur noch als delirierenden Punkt in einem Meer von Phantasmen, bildhaften Ersatzvorstellungen, wiederfinden konnte. Das schloß die Erlangung von Einheit, die ja immer Identität mit sich selbst sein will, aus. Bisher hatte die Science Fiction diese Zusammenhänge kaschiert, sie als bloßes Ornament eingesetzt, hinter dem die Scheidung von Substanz und Struktur nur verschleiert in Form menschendienender Roboter und roboterdienender Menschen vorlag. Die Drohung, die für das Wesen des Menschen aus seinem selbstgeschaffenen Maschinenpark erwächst, war zwar gelegentlich als wesentlicher
Antrieb der Science Fiction erkannt, aber nie in ihrer Differenzialität thematisiert worden.
Differenzialität ist aber immer durch Bipolaritäten, also Gegensätze, bestimmt. Der Cyberpunk machte es sich, durchaus ungewollt — zur Aufgabe, diese allgegenwärtige Polarität von Hardware und Software zu ergründen, wobei er freilich dazu verdammt war, festzustellen, daß es keine vermittelnde Instanz mehr gibt, mag man sie Seele oder ein ethischmoralisches Gesetz nennen. Er war gezwungen, um ein Nichts herum zu schreiben, um das Fehlen eines Kerns zu kreisen. Vor einem solchen Hintergrund kann es nicht verwundern, wenn ein französischer
Kritiker in einem Gespräch mit Gibson bemerkt: »Cyberpunk gibt's natürlich nicht; es gibt nur Imitationen.« Aber was ist es, das da imitiert wird und sich gerade im Schreiben von William Gibson so gezielt Ausdruck verschafft? Was ist der Grund dafür, daß Gibsons Neuromancer-Trilogie, deren krönender Abschluß mit diesem Roman vorliegt, zum Auslöser dafür wurde, daß eine ganze literarische Gattung, die Science Fiction nämlich, diese Zusammenhänge aufgriff?
Um dem nachzugehen, werfen wir erst einmal einen genaueren Blick auf Leben und Werk der
Symbolfigur dieser Bewegung.
William Ford Gibson wurde am 17. März 1948 in Conway, South Carolina, geboren. »Wir sind
viel umgezogen, als ich noch klein war«, sagte er in einem Interview. »Mein Vater arbeitete bei einem großen Bauinstallateur im Süden, einer sehr großen Firma, und so zogen wir von einem Firmenprojekt zum nächsten, blieben da ein halbes oder ganzes Jahr und zogen
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