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Mona Lisa Overdrive

Mona Lisa Overdrive

Titel: Mona Lisa Overdrive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Struktur, die er seinen Sätzen verpaßte; so faßte sie seine Entschuldigung zunächst als Befehl auf. Sie wollte den Geist zu Rate ziehen, sah aber davon ab.
    »Swain«, meinte sie zaghaft, »Mr. Swain ist der, bei dem ich wohne?«
    Petal betrachtete sie im Spiegel. »Roger Swain. Das hat dir dein Vater nicht gesagt?«
    »Nein.«
    »Soso.« Er nickte. »Mr. Kanaka ist bei so was sehr auf Sicherheit bedacht, das ist doch wohl klar... In seiner Stellung et cetera ...« Er seufzte laut. »Tut mir leid wegen der Heizung. Werkstatt hätt sich drum kümmern sollen ...«
    »Sind Sie Mr. Swains Sekretär?« An die stoppligen Hautringe über dem Kragen des dicken
    dunklen Mantels gerichtet.
    »Sein Sekretär?« Er schien nachzudenken. »Nein«, meinte er schließlich. »Das bin ich nicht.« Er bog in einen Platz mit Kreisverkehr, vorbei an metallisch glänzenden Markisen und dem abendlichen Fußgängerstrom. »Hast denn schon gegessen? Haben sie euch im Flugzeug was
    gegeben?«
    »Ich hatte keinen Hunger.« Der mütterlichen Maske bewußt.
    »Nun, Swain wird schon was haben für dich. Ißt gern japanisch, der Swain.« Er schnalzte
    eigenartig mit der Zunge und schaute kurz um zu ihr.
    Sie schaute an ihm vorbei, sah den Kuß der Schneeflocken, die Wegwischbewegung der
    Scheibenwischer.
    Swains Notting Hill-Residenz bestand aus drei verbundenen viktorianischen Stadthäusern, die irgendwo in dem verschneiten Gewirr aus Plätzen, Straßen und Durchfahrten standen. Petal, der in jeder Hand zwei von Kumikos Koffern trug, erklärte, daß die Hausnummer 17 der Haupteingang auch für die Nummer 16 und 18 sei. »Da braucht man gar nicht erst klopfen«,
    sagte er und deutete plump mit den schweren Koffern in der Hand auf die glänzend rot lackierte, messingbeschlagene Tür von No. 16. »Nur 'n halber Meter Stahlbeton dahinter.« Sie schaute durch den bogenförmigen Straßenzug mit den nahezu identischen Fassaden, die sich zur leichten Biegung formierten. Der Schnee fiel nun dichter, und den gleichförmigen Himmel erhellte der lachsrote Schein von Natriumdampflampen. Die Straße war verlassen, der frische Schnee unberührt. Die Luft hatte einen fremdartigen Biß, einen durchdringenden Beigeschmack von
    Feuer, von altertümlichen Brennstoffen. Petals Schuhe hinterließen große, scharf abgegrenzte Abdrücke. Es waren schwarze Wildlederhalbschuhe mit schmaler Spitze und überaus klobigen, knallroten Plastiksohlen. Allmählich frierend, folgte sie seiner Trittspur zu den grauen Stufen der Nummer 17.
    »Ich bin's«, sagte er zur schwarzlackierten Tür, »nich' wahr?« Dann seufzte er, stellte alle vier Koffer in den Schnee, zog den fingerlosen Handschuh von der Rechten und drückte den Handballen auf eine glänzende Stahlscheibe, die bündig in eine der Türfüllungen eingelassen war. Kumiko glaubte, ein feines Summen zu hören, ein Surren, das schriller wurde und verstummte, woraufhin die Tür vibrierte, als sich mit einem gedämpften Geräusch wuchtige
    Magnetbolzen zurückschoben.
    »Sie haben sie Smoke genannt«, sagte Kumiko, als er nach dem messingenen Türknauf griff, »die Stadt ...«
    Er hielt inne. »The Smoke, jawohl«, sagte er und öffnete die Tür ins Warme, Helle. »Das ist ein alter Ausdruck, so was wie ein Spitzname.« Er nahm ihre Koffer und stapfte in ein Foyer mit blauem Teppichboden und weißlackierter Holztäfelung. Sie folgte ihm, wobei die Tür sich selbsttätig schloß und die Bolzen puffend zugingen. Ein in Mahagoni gerahmter Druck hing an der weißen Täfelung, Reiter auf einem Feld, schneidige Figürchen im roten Rock. &ROLQ GHU
    &KLS*HLVW VROOWH GRUW OHEHQ dachte sie. Fetal hatte ihre Koffer wieder abgesetzt. Gepreßter Schnee lag auf dem blauen Teppich. Nun öffnete er eine andere Tür, hinter der sich ein vergoldeter Stahlkäfig auftat. Mit Geklapper zog er das Gitter auf. Sie schaute verdutzt in den Käfig. »Der Lift«, sagte er. »Kein Platz für deine Sachen. Ich fahr ein zweites Mal.«
    Trotz des offenkundigen Alters fuhr der Aufzug prompt an, als Petal mit der Kuppe des
    Zeigefingers auf einen weißen Porzellanknopf drückte. Kumiko musste nun notgedrungen dicht bei ihm stehen; er roch nach feuchter Wolle und einem blumigen Rasierwasser.
    »Wir haben dich ganz oben untergebracht«, sagte er und führte sie durch einen schmalen Gang,
    »weil wir uns dachten, daß du's gern ruhig hast.« Er öffnete eine Tür und bedeutete ihr
    einzutreten. »Hoffe, es ist recht so ...« Er nahm die Brille ab und putzte

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