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Mona Lisa Overdrive

Mona Lisa Overdrive

Titel: Mona Lisa Overdrive Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Krokoklon-Koffer auf einem selbstfahrenden Gepäckkarren dahinrollen, womit sie endgültig wußte, daß er tot war.
    An Geralds Praxis war ein Schild mit altmodischen Lettern. Vierter Stock einer EigentümerAnlage in, wie Prior versicherte, Baltimore. Eine Anlage, wo ein Gerüst hingestellt wird und die gewerblichen Mieter die eigenen Module einbringen, die bloß noch anzuschließen sind. Wie ein vertikales Caravan-Camp. Überall Kabelrollen, optische Leitungen, Wasser-und Abwasserrohre.
    »Was steht da?« fragte sie Prior.
    »Gerald Chin, Zahnarzt.«
    »Du hast gesagt, er ist plastischer Chirurg.«
    »Das ist er.«
    »Warum können wir nicht einfach in 'ne Boutique gehn wie jedermann sonst?«
    Darauf gab er keine Antwort.
    Sie konnte eigentlich nicht viel spüren im Moment, und irgendwie wußte sie, daß sie weniger Angst hatte, als angebracht gewesen wäre. Das war vielleicht gut so, denn wenn sie entsprechend Schiß hätte, wäre sie zu gar nichts imstande, und dabei wollte sie unbedingt aus dieser undurchsichtigen Sache aussteigen. Auf der Herfahrt hatte sie so was Dickes in der Tasche von Michaels Jacke bemerkt. Sie hatte zehn Minuten gebraucht, um herauszufinden, daß es sich um einen Schocker handelte, wie der nervöse Macker ihn gern bei sich hatte. Er fühlte sich an wie ein Schraubenziehergriff mit zwei stumpfen Metallbügeln anstatt einer Klinge. Man lud ihn vermutlich an der Steckdose; es war nur zu hoffen, daß Michael ihn geladen hatte. Prior, so überlegte sie, werde nichts davon wissen. So ein Schocker war fast überall erlaubt, weil er keine bleibenden Schäden anrichtete, obwohl Lanette ein Mädchen kannte, das mit so 'nem Ding übel zugerichtet worden war und nie mehr recht auf die Beine kam.
    Falls Prior nicht wußte, daß sie den Schocker in der Tasche hatte, so hieß das, daß er nicht alles wußte, obwohl er darauf bedacht war, sich diesen Anschein zu geben. Freilich hatte er auch nicht gewußt, daß Eddy das Spielen total haßte.
    Auch bezüglich Eddy konnte sie nicht viel empfinden, außer daß sie nach wie vor glaubte, er sei tot. Ganz gleich, wieviel sie ihm gegeben hätten, er wäre niemals ohne die Koffer losgezogen.
    Selbst wenn er sich ganz neu einkleiden wollte, müßte er sich herausputzen zum Einkaufen.
    Kleidung war Eddy so ziemlich das Wichtigste. Und die Krokokoffer lagen ihm besonders am Herzen. Er hatte sie von einem Hoteldieb in Orlando, und sie waren für ihn praktisch alles, was er an Heim und Zuhause hatte. Und überhaupt konnte sie sich, wenn sie sich's recht überlegte, gar nicht vorstellen, daß er sich auf eine Abfindung eingelassen hätte, denn er sehnte sich nach nichts mehr, als bei einem großen Deal dabeizusein. Dann, so bildete er sich ein, würden die Leute ihn ernst nehmen.
    Tja, nun hatte ihn endlich jemand ernst genommen, dachte sie, während Prior ihre Tasche in Geralds Praxis trug. Allerdings ganz anders, als Eddy sich das vorgestellt hätte.
    Sie sah sich um. Zwanzig Jahre alte Plastikmöbel, Stapel von Stim-Star-Magazinen mit japanischer Schrift. Es sah aus wie in einem Clevelander Friseursalon. Kein Mensch war da, niemand an der Anmeldung.
    Dann spazierte durch eine weiße Tür Gerald herein, der einen knittrigen Plastikanzug trug wie Sanitäter beim Unfalleinsatz. »Schließ ab!« sagte er zu Prior durch eine blaue Papiermaske, hinter der sich Nase, Mund und Kinn verbargen. »Hallo, Mona. Wenn du mitkommen möchtest...« Er deutete auf die weiße Tür.
    Sie hatte die Hand jetzt am Schocker, aber wußte nicht, wie man ihn anschaltete.
    Sie folgte Gerald; Prior bildete die Nachhut.
    »Nimm Platz!« sagte Gerald. Sie setzte sich auf einen weißlackierten Stuhl. Er kam näher, betrachtete ihre Augen. »Du brauchst Ruhe, Mona. Bist erschöpft.«
    Es war ein gezackter Knopf am Schockergriff. Drücken? Nach oben? Unten?
    Gerald ging an ein weißes Fach mit Schubladen, nahm etwas heraus.
    »Hier«, sagte er und hielt ihr etwas kleines Rundes mit einer seitlichen Aufschrift hin, »das wird helfen ...« Sie spürte den kurzen, dosierten Sprühnebel kaum; es war ein schwarzer Punkt auf der Spraydose, den ihre Augen fixierten und der immer größer wurde ...
    Sie erinnerte sich, wie der Alte ihr zeigte, wie man einen Katfisch tötet. Der Katfisch hat ein Loch in der Schädeldecke, das mit Haut verschlossen ist. Man nimmt etwas Starres, Dünnes, einen Draht, sogar eine Besenborste geht, und rein damit...
    Sie erinnerte sich an Cleveland, einen ganz gewöhnlichen Tag,

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