Mond der Unsterblichkeit
Amber glaubte an Halluzinationen, ausgelöst durch die G e fahr. Sie zwinkerte, doch das Bild löste sich nicht auf.
„Wer oder was …?“, stammelte Amber und lehnte sich zurück.
Sie spürte, wie durch diese Bewegung der Morast wieder ein Stück von i h rem Körper Besitz ergriff. Sie hangelte nach dem Ast, der über ihrem Kopf schwebte, aber unerreichbar war.
Die Fremde quittierte ihre Anstrengungen mit einem Fauchen, sprang auf und rannte davon. Die glitschige Feuchte u m fing bereits Ambers Bauch, so tief war sie bereits eingesunken. Zweige knackten, Blätter raschelten, dann herrschte Stille.
„Bitte, Miss, kommen Sie zurück. Helfen Sie mir!“, rief Amber der Fremden hinterher. „Holen Sie mich hier raus. Ich sinke immer tiefer.“ Tränen der Ve r zweiflung schossen in ihre Augen.
Die Fremde konnte sie doch hier nicht ihrem Schicksal überlassen. Sie lauschte angestrengt, ob ein Geräusch ihre Rückkehr ankündigte. Doch es umgab sie nur diese unglaublich bedrückende Stille. Ihre Mutter musste sie auf dem Fest bereits vermissen und s u chen.
„Hilfe! Hilfe!“, schrie sie, bis sie heiser war.
Die Fremde kehrte nicht zurück, niemand hörte sie. Amber schwamm in e i nem Meer der Hof f nungslosigkeit. Keiner schien sie zu suchen. Warum war sie auch nicht zum Fest zurückgegangen? Sie verfluchte diesen Abend und haderte mit ihrem Schicksal.
15.
D ie Hände tief in die Taschen seiner Jacke geschoben, stapfte A i dan zurück zum Schloss. Deutlich sah er Ambers Augen vor sich, die Tränen, die darin schi m merten.
Es war ihm klar, dass sein Verhalten ihr gegenüber verletzend war. Doch er wusste beim besten Willen nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Amber hatte ihn und seine Vorsätze schlichtweg überrollt. Und nun ve r suchte er, das Richtige zu tun.
Das verdrängte Verlangen kehrte schlagartig zurück und brachte sein Blut in Wallung. Durch einen einzigen Kuss war er in das Chaos gestürzt. D a bei hatte er sich geschworen, nie etwas mit einer Studentin an der gleichen Uni anzufangen. Und jetzt konnte er an nichts anderes denken, als den Kuss zu wiederholen, und mehr. Viel mehr. Ve r dammt! Er musste weg von hier. Eine Entscheidung, die er auch nach der Auseinandersetzung mit seinem Vater g e troffen hatte. Das Leben mit ihm war unerträglich geworden. Nur aus Rüc k sicht auf dessen Krankheit hatte er immer wieder sein Fortgehen hinausgesch o ben. Und auch ihm zuliebe war er zurückgekommen, um Halloween zu feiern, selbst wenn ihm das spiritue l le Getue des Vaters an di e sem Tag nicht gefiel.
Es hatte noch einen Grund für seine Rückkehr gegeben, einen wichtigen. Er wusste, dass er Amber ein letztes Mal hatte sehen wollen, bevor er Gealach ve r ließ. Wie eine Motte, die vom Licht angezogen wird, o b wohl sie weiß, dass sie sich verbrennen wird. Und er hatte sie damit wieder ve r letzt, dabei wollte er sie eigentlich nur in die Arme reißen. Er redete sich ein, dass er sie vergessen kon n te in Kanada. Aber eigentlich wusste er, dass er sich etwas vormachte. B e reits jetzt ging sie ihm unter die Haut, bestimmte sein Denken, seine Gefü h le, wie noch keine zuvor, und dass, obwohl sie sich erst seit kurzer Zeit kannten. Er hatte sich in diesen grünen Augen verloren, hinter denen ein Feuer schlummerte und er war von der Frau dahinter bedi n gungslos fasziniert. So leicht würde er sie nicht vergessen kö n nen.
Verdammt! Am liebsten hätte er sich selbst einen Tritt verpasst. Er fühlte sich noch immer miserabel, als er das Schloss erreichte.
Ruckartig fuhr Aidan in die Höhe. Er war im Sessel eingeschlafen. Sein Herz hämmerte wie wild in der Brust. Eine unerklärliche Furcht stieg in ihm auf, die Amber betraf. Es dauerte einen Moment, bis er sich gefasst hatte. Schuld daran war dieser Albtraum, den er fast ve r gessen hatte, und der nach Jahren wieder zurückgekehrt war. Als kleiner Junge war er von diesem schrecklichen Traum geplagt worden, in dem immer das Gleiche geschah. Eine junge Frau lag wi m mernd auf einem Dolmen. Sie war g e fesselt und geknebelt. Aus dem Dunkel hinter ihr ragte eine Hand, die einen Dolch umklammerte. Geschickt durc h trennte diese mit einem Schnitt die Kehle der Gefesselten, die zitternd, mit weit geöffneten Augen ins Leere starrte. Die Wunde klaffte einen Fingerbreit ause i nander, Blut spritzte in hohem Bogen he r aus, das ein anderer in einem goldenen Pokal auffing. Doch der Traum war diesmal besonders b e
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