Mond der Unsterblichkeit
gehört!“ Kevins Stimme versagte. Krampfhaft versuchte er, die Tränen zu unterdrücken.
„Du darfst dir keine Vorwürfe machen, Kevin, dich trifft keine Schuld“, sagte Aidan.
„Tu ich aber!“ Jetzt konnte auch Kevin die Tränen nicht mehr zurüc k halten. „Vielleicht würde er jetzt noch leben!“
„Oder ihr beide wärt jetzt tot. Unfälle sind schrecklich, aber sie passi e ren.“
Amber dachte an ihren Traum mit dem gläsernen Pokal, der gefüllt mit Blut war, und an die Hände, die ihren Vater in die Finsternis g e zogen hatten. Sie hatte seinen Tod gesehen. Es war kein Unfall gewesen, dessen war sie sicher.
„Was sagst du da, Kevin? Weshalb hat Daddy sich aufgeregt? Hat er dir i r gendeinen Grund genannt? Rede!“ Amber beugte sich zu ihrem Bruder hinab und u m fasste seine Schultern.
„Ich weiß es nicht“, flüsterte er.
„Das hat doch alles keinen Zweck, Amber. Das ändert nichts am Tod deines Vaters“, sagte Mom. „Oh, mein Gott, ich mache mir solche Vo r würfe, weil ich nicht darauf bestanden habe, dass er mit mir auf das Fest geht. Ich wünschte, ich könnte es ändern. Und ich habe ihm noch vo r geworfen, dass ihm die Brennerei wichtiger sei als ich. Jetzt ist es zu spät. Zu spät.“ Sie schluchzte auf.
Amber legte den Arm um sie. „Ach, Mom. Ich bin so furchtbar tra u rig.“
Eine Weile lagen sie sich weinend in den Armen, bis Mom sie sanft von sich schob.
„Ich muss jetzt einen Moment allein sein.“ Mom erhob sich und schritt durchs Zimmer, an Aidan vorbei.
„Das tut mir alles so leid, Mrs. Stern. Wenn ich irgendwas für Sie tun kann, la s sen Sie es mich bitte wissen.“ Aidan legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Danke.“
Sie tätschelte seine Hand und schlurfte aus dem Raum. Amber wollte ihr nac h laufen, doch Aidan hielt sie zurück.
„Lass sie. Sie braucht Zeit und Ruhe. Gib sie ihr.“
Amber riss sich von ihm los und stürmte aus dem Zimmer.
Sie fand keine Ruhe. Plötzlich erschien ihr Zimmer eng und bedrückend. Alles e r innerte an Dad. Sie betrachtete voller Wehmut sein Foto, das sie damals vor dem Opernhaus in London aufgenommen hatten. Es war ein wolkenloser So m mertag gewesen. Dad wehrte sich zuerst gegen das Fotografieren, bis er schlie ß lich lachend nachgab. Er fand sich auf Fotos schrecklich.
Vom Schmerz überwältigt, warf sie das Foto auf den Boden. Das Glas splitte r te. Es zerbrach wie ihr Leben. Weinend sank sie auf die Knie. Wären sie doch nie hierher gezogen. Vielleicht würde Vater dann noch leben. Schluchzer schü t telten ihren Körper. Sie weinte, bis sie erschöpft war und sich leer fühlte. Dann setzte sie sich aufs Bett und stützte den Kopf in die Hände.
Noch wenige Stunden zuvor war sie mit Aidan glücklich gewesen, bis sie die Gra u samkeit der Realität erneut zu spüren bekam. Vaters Tod hatte das Gefühl von G e borgenheit zerschlagen. Was würde jetzt aus ihnen werden? Sie alle waren auf Vaters Einkommen angewiesen. Jetzt standen sie wieder vor einem Neub e ginn, noch ungewi s ser als zuvor.
Wenn der neue Leiter der Brennerei käme, gäbe es hier für sie alle keinen Platz mehr. Sie würden nach London zurückkehren, wo es Menschen gab, denen sie etwas bedeuteten. Aber sie würde ihr Stud i um nicht beenden können, sondern musste sich einen Job suchen. Und ihre Mu t ter auch. Das Leben in der Stadt war teuer.
Ambers Herz wurde noch schwerer, wenn sie daran dachte, sich von Aidan trennen zu müssen. Nach der vergangenen Nacht hoffte sie auf eine gemeinsame Zukunft. Das Denken fiel ihr schwer, denn hinter ihren Schläfen pochte es schmerzhaft. Sie musste an die frische Luft.
18.
A idan hatte Amber nachlaufen wollen, um sie zu trösten. Aber als sie sich von ihm losgerissen hatte, lag in ihren Augen der Wunsch nach Allei n sein. Also war er gegangen, um seinen Vater nach dem Unfall befragen. Ein dunkles Gefühl nagte an seinen Eingeweiden. Die Vorwürfe A m bers, dieser könnte etwas mit dem Unglück zu tun zu haben, beunruhigten ihn. Auch er musste sich eingest e hen, dass irgendetwas seltsam an dem plötzlichen Unfalltod Finlay Sterns war, gerade weil sein Vater jede Apparatur penibel warten ließ. Eine Explosion hatte es noch nie in der Geschichte der Macfarlanes gegeben. Und we s halb war sein Vater nicht an der Seite von Dana Stern gewesen, als die Polizei die schreckliche Nachricht überbrachte? Warum hatte er zugelassen, dass Finlay Stern am Hall o wee n abend in die Brennerei ging, und
Weitere Kostenlose Bücher