Mond der verlorenen Seelen
wartete auf den Tod.
Ein durchdringendes Grollen hallte durch den Raum und brachte ihren Brustkorb zum Vibrieren. Jetzt holte der Dämon zum letzten Schlag aus.
Als nichts geschah, öffnete sie die Augen und erkannte Aidan, der breitbeinig über ihr stand, mit verzerrtem Gesicht, kampfbereit mit geballten Fäusten, um sie mit aller Kraft wie eine Mutter ihr Junges zu verteidigen. Sein wutverzerrtes Gesicht hatte nichts mehr mit dem einst friedfertigen Lehrer gemein.
Entsetzt verfolgte Amber den Kampf zwischen ihm und den Dämonen. Aidan bewegte sich so schnell, dass es für ihre Augen kaum wahrnehmbar war. Durch seine Schnelligkeit gelang es ihm, einen der materialisierten Dämonen zu packen, als dieser ihn angriff. Der Dämon quiekte wie ein Schwein, bevor Aidan ihm den Kopf abriss. Die anderen Angreifer stoben auseinander und hielten mit Respekt Abstand. Aidan legte den Kopf in den Nacken und stieß ein animalisches Brüllen aus. Seine Augen schienen förmlich zu glühen in dem scharf geschnittenen Profil, das ihr in diesem Moment so fremd erschien. Der liebevolle Mann hatte sich in eine reißende Bestie verwandelt. Diese Erkenntnis traf sie wie ein Hammer.
Noch einmal stieß er das markerschütternde Brüllen aus, bis sich die Dämonen zurückzogen und in Nichts auflösten.
Aidans Atem ging stoßweise, an den Knöcheln seiner Hände wurde das Weiße sichtbar. Nur langsam entspannte er sich.
„Aidan“, krächzte Amber heiser. Sie wusste nicht, ob sie ihn bewundern oder sich vor ihm fürchten sollte. Als er auf sie herabsah, war das Glühen in seinen Augen verschwunden, und seine Gesichtszüge nahmen den Ausdruck der gewohnten Normalität an. Amber versuchte, sich aufzurichten, kippte aber wieder nach hinten. Aidan bückte sich und hob sie auf seine Arme.
„Ich bin so froh, dass du gekommen bist“, wisperte sie.
„Es ist alles vorbei. Du bist in Sicherheit“, antwortete er und küsste sie sanft auf die Stirn.
„Mom ...“ Ambers Stimme versagte.
„Ich bringe dich zu ihr.“
-8-
„ O h, mein Gott, Amber, was ist passiert?“
Amber blinzelte aus geschwollenen Augen zu Mom, die mit besorgter Miene auf sie herabsah.
„Ich wurde gegen die Wand geschleudert.“ Das Sprechen fiel ihr schwer, ihre Stimme klang gepresst. „Au!“, schrie Amber auf, als Mom ihre Schürfwunden an Stirn und Armen mit einer Jodtinktur bestrich. Es brannte wie Feuer.
„Was?“, rief Mom und hielt sofort in der Bewegung inne. Entsetzen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
„Sie wurde von Dämonen angegriffen. Oben im Turm“, antwortete Aidan.
Amber wunderte sich, wie ruhig seine Stimme klang, als wäre eine solche Begegnung alltäglich. Deutlich sah sie wieder das Bild Aidans vor sich, wie er als dunkler Racheengel die Dämonen vertrieb. In diesem Moment hatte sie bewundert, mit welch geballter, animalischer Kraft er sich den Geschöpfen der Finsternis entgegengestellt hatte. Aber sich gleichzeitig vor ihm gefürchtet, als ihr bewusst wurde, wie weit die Verwandlung fortgeschritten war. Mit jedem Tag erschien er ihr fremder. Sie erkannte Facetten an ihm, die sie zuvor noch nie wahrgenommen hatte. Sie hoffte, ihre Liebe war stark genug, sein menschliches Ich zu erhalten. Aber die aufkommenden Zweifel wurden immer stärker und bildeten eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen. Am schlimmsten empfand sie es, wenn er sich zurückzog und mit ihr weder über seine Gedanken noch über seine Gefühle sprach. Auch jetzt wirkte er abweisend, als befände sich sein Geist auf einer Reise in die dunkle Welt.
„Dämonen? Oh, mein Gott, Amber. Das ist ja schrecklich.“ Mom presste ihre Hände an die feuerroten Wangen.
„Was waren das denn für Dämonen?“, meldete sich ihr Bruder Kevin zu Wort.
Seine Neugier war nur schwer zu bremsen, doch gerade ihr verdankten sie so viel. In Gefahrensituationen hatte er seine Cleverness bewiesen und wuchs über sich hinaus.
„Ich weiß es nicht.“ Amber berichtete zitternd von ihren Begegnungen am Nachmittag und dann im Turm. Der Schock saß ihr noch tief in den Gliedern, aber vor Mom riss sie sich zusammen. Diese wurde abwechselnd rot und weiß, ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen.
„Du gehst alleine nirgendwo mehr hin. Ich werde sonst noch verrückt vor Angst.“ Mom sah sie eindringlich an.
„Herrgott, Mom, soll mich vielleicht jedes Mal einer von euch begleiten?“
„Dann gehst du eben eine Zeit lang nicht mehr aus dem Haus, bis es vorbei ist.“ Der bestimmende Tonfall
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