Mond der verlorenen Seelen
den Wald und das Moor. Er genoss die Dunkelheit und deren Stille, so wie früher einen Sonnenscheintag.
Ein Vampir zu sein, besaß viele Vorteile, wie das Sehen im Dunkeln oder das Translozieren. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. So wie Amber, erlebte auch er seine Talente als aufregende Entdeckung.
Er blieb stehen und inhalierte den würzigen Duft von Tannennadeln und feuchtem Moos. Früher war er auch bei Dunkelheit durchs Moor gestapft, hatte aber nie der Nacht und ihren Geschöpfen Bedeutung beigemessen. Menschen verströmten einen besonderen Duft, den er wie kostbares Parfüm einatmete. Es war der Geruch ihrer Sterblichkeit, nach süßem Blut.
Gelangweilt sprang er mit einem Satz auf einen der dicken Eichenäste über ihm und balancierte darauf herum. Früher hätte er am Stamm hochklettern müssen, jetzt brauchte er bloß daran zu denken und schon befand er sich ohne jegliche Anstrengung an jedem gewünschten Ort. Es gefiel ihm, sich von Tag zu Tag seiner Fähigkeiten immer bewusster zu werden, sie zu testen und weiterzuentwickeln.
Eine Weile vertrieb Aidan sich die Zeit mit dem Erproben seines neuen Balancegefühls, bis sein Magen knurrte und ihn ein unbändiger Hunger auf Blut überkam. Er hielt die Nase in den Wind und witterte in der Nähe den süßen Geruch warmen Blutes. Kaum konnte er es erwarten, davon zu kosten, verließ den Baum und folgte der Duftspur.
Bereits nach wenigen Metern entdeckte er einen äsenden Rehbock auf der Lichtung, der ihn gegen den Wind noch nicht gewittert hatte. Deutlich konnte Aidan den Herzschlag des Tieres hören, jede Kontraktion des Herzmuskels fühlen, als hielte er das Herz in der Hand. Allein die Vorstellung versetzte ihn in einen Rausch, der nach Befriedigung verlangte. Das Fieber der Jagd hatte ihn gepackt.
Es war das erste Mal, dass er sich einem Tier dieser Größe näherte, um es zu erlegen. Seine Hände zitterten vor Erregung. Schon spürte er ein sanftes Vibrieren in seinem Oberkiefer, das das Wachsen seiner Fangzähne ankündigte. Seine Fingernägel mutierten zu scharfen Klauen. Er presste die Zähne aufeinander und überlegte, wie er das Tier am Einfachsten stellen könnte, um so schnell wie möglich an das Begehrte zu gelangen. Die Vorstellung, dem Tier hinterherzuhetzen, steigerte seine Erregung. Er wollte nicht länger warten. Die Gier war so übermächtig, dass er die Phase des Heranpirschens ausließ und sofort auf das Tier zuschoss. Der Kopf des Rehbocks schnellte hoch, bevor er mit angstgeweiteten Augen und mächtigen Sätzen die Flucht antrat. Aidan stürzte hinterher. Seine Jagdtechnik war mehr von seinem Verlangen geprägt, als von Überlegungen, sodass er große Mühe hatte, mit den Zickzacksprüngen des Flüchtenden mitzuhalten. Fast hätte er das Tier erwischt, doch es entglitt ihm, bevor er zupacken konnte. Das ließ ihn ungeduldig werden. Mit Gebrüll stürzte er sich auf den Rücken des Tieres und brachte es zu Fall. Aidan zitterte in seiner Blutgier und zögerte nicht eine Sekunde, seine Reißzähne im weichen Fleisch des Halses zu versenken, wo die Schlagader verlief. Der Rehbock unter ihm zappelte und keuchte. Aber Aidan hielt ihn erbarmungslos fest und stillte seinen Durst. Das Blut schmeckte köstlich. Genussvoll sog er und konnte nicht genug bekommen. Die Gegenwehr des Tieres erlahmte, seine Glieder lagen schlaff auf dem Boden. Mit jedem Schluck, den er trank, verspürte er ein Gefühl von Stärke und Unbesiegbarkeit. Erst als der Puls seines Opfers kaum noch zu fühlen war, ließ er von ihm ab. Aidan wischte sich die Blutspuren von Mund und Kinn.
Sein Blick fiel auf das Auge des Tieres, das ihn anklagend anstarrte. Nachdem der Rausch verebbt war, wurde er sich des Geschehens bewusst. Er hatte getötet und konnte nicht leugnen, dabei Befriedigung empfunden zu haben. Wie ein Raubtier war er über den Rehbock hergefallen. Im Auge des Tieres glaubte er plötzlich Ambers smaragdfarbenes zu erkennen, das sich voller Vorwurf auf ihn richtete. Der Hunger auf Blut war wie eine Urgewalt aus ihm hervorgebrochen, ohne jeglichen Respekt vor dem Leben. Plötzlich ekelte es ihn vor dem Blut, das an seinen Händen klebte und dennoch verlockend duftete. Es ekelte ihn vor seiner Tat und vor sich selbst. Immer mehr wurde er zu einem Teil der Schattenwelt. Lange hatte er sich gegen die Verwandlung zu einem Vampir gewehrt, in dem er versuchte, auf Blut zu verzichten, aber nun war er ihr erlegen.
Aidan schloss die Augen. Die Erinnerungen an
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