Mond der verlorenen Seelen
Revenants Biss flammten wieder auf. Sie hatten sich tief in sein Hirn gebrannt und würden ihn eine Ewigkeit daran erinnern. Mit seinem Blut hatte Revenant ihn zu seinem Krieger, dem Warrior, gemacht. Noch einmal durchlebte Aidan die Szene, fühlte den Schmerz, als sich die Reißzähne Revenants in seinen Hals bohrten, die aufsteigende Verzweiflung, weil er Amber vielleicht nie mehr wiedersehen würde. Der brennende Schmerz, der seinen Körper zerriss und sich wie ein Speer in sein Herz bohrte. Mit jedem Schluck, den der dunkle Lord von seinem Blut trank, wurden die Abstände zwischen jedem Schlag geringer, bis sein Herz stillstand und Dunkelheit ihn umfing. Als der Schmerz erlosch, durchlebte er jeden Augenblick seines Lebens in rasanter Geschwindigkeit aufs Neue. Dann rissen die Bilder schlagartig ab, und die Stille und Dunkelheit des Todes hüllten ihn ein. Das Licht, das viele beschrieben, die an der Schwelle des Todes gestanden hatten, sah er nicht. Es war den Verdammten nicht vergönnt.
Die Finsternis dauerte eine Ewigkeit, bis er Süße auf seinen Lippen schmeckte. Er fuhr mit der Zunge darüber und leckte sie ab. Es verlangte ihn nach mehr und wieder tröpfelte die Flüssigkeit auf seinen Mund, den er gierig öffnete. So süß schmeckte der Tod, dass er nicht genug davon bekommen konnte. Es war Revenant, der neben ihm kniete und seinen Unterarm über sein Gesicht hielt, aus dessen Wunde das Blut heruntertropfte. Aidan gierte nach mehr, zerrte an Revenants Arm und presste ihn an seine Lippen. Er trank in großen Schlucken und konnte nicht aufhören. Es war der Lord, der ihn gewaltsam vom süßen Quell trennte. Diese Erfahrung war so berauschend wie eine Droge gewesen. Revenant hatte ihm ein neues Leben geschenkt, das eines blutrünstigen Kriegers, der bis in alle Ewigkeit verdammt war.
„Hey, kann ich den Rest haben?“
Aidan öffnete die Augen und wirbelte herum. Eine nackte Frau mit zerzaustem Haar stand vor ihm und deutete auf den toten Rehbock. Aidan hatte sie schon einmal irgendwo gesehen. Das Glühen in ihren Augen verriet, dass auch sie ein Kind der Dunkelheit war.
„Hey, hast du mich nicht verstanden? Teilst du, Vampir, oder nicht?“ Ungeduld schwang in ihrer Stimme mit. Ihre Mundwinkel zogen sich verärgert nach unten.
„Wer bist du?“ Aidan tat einen Schritt auf sie zu, aber sie wich zurück.
„Rana.“ Misstrauisch fixierte sie ihn. Aidan streckte den Arm nach ihr aus.
„Bleib mir vom Leib, Vampir. Ich will nur das Fleisch, kapiert? Dann bin ich verschwunden.“ Abwehrend hob sie die Hände. Sie zitterte leicht. Er erkannte die Furcht in ihren Augen.
„Teilst du nun oder was? Ich habe einen Mordshunger!“
Aus ihren Augen leuchtete die gleiche Gier, die auch er kurz zuvor empfunden hatte. Aidan zuckte mit den Achseln. „Bedien dich.“
Im gleichen Augenblick stürzte sie nach vorn und warf sich auf den Kadaver. Dabei verwandelte sie sich in einen Wolf. Neugierig beobachtete Aidan, wie sich ihre mächtigen Reißzähne ins Fleisch bohrten und riesige Stücke aus dem toten Leib herausrissen. Gierig schlang sie ein Stück nach dem anderen hinunter. Als sie die Bauchhöhle mit einem einzigen Prankenhieb öffnete und die Gedärme herausquollen, wandte Aidan sich angewidert ab.
„Bist noch nicht lange ein Vampir, was?“, fragte sie.
Er begegnete ihrem Wolfsblick.
„Der Blutdurst bestimmt dein Leben. Gewöhn dich dran. Ich bevorzuge mehr eine gute Portion blutiges Fleisch.“
Erneut verbiss sich ihre Wolfsschnauze in der Flanke des Kadavers und riss ein weiteres Stück heraus, das sie schmatzend verschlang. Aidan erinnerte sich an seine Begegnung mit Moira als Werwolf, als sie ihm von Paul erzählte, den sie nach dem Geschlechtsakt verspeist hatte. Ihr demütiges Verhalten war mit einem Tritt Revenants belohnt worden. Daraus schloss er, dass Werwölfe in der Rangordnung unter den Vampiren standen. Sein Opfer zu jagen und das Blut zu trinken, erschien ihm eleganter als diese zügellose Fressgier. Verächtlich verzog er das Gesicht. Ranas Wolfsfell war von den Körpersäften des Opfers verklebt. Sie leckte sich sauber. Vom Kadaver war binnen kurzer Zeit nur noch das fein abgenagte Skelett übrig. Danach verwandelte sich die Wölfin wieder in die junge Frau zurück.
„Was starrst du denn so?“, fuhr sie ihn an und wischte sich die Blutspritzer und das Gallensekret von den nackten Brüsten. „Ein Jammer, dass der Fressrausch nicht lange anhält.“ Sie seufzte. „Was bleibt schon
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