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Mond über Manhattan

Mond über Manhattan

Titel: Mond über Manhattan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Kansas, Idaho und Minnesota. Nirgends blieb er länger als zwei oder drei Jahre, und obwohl die Schulen einander alle mehr oder weniger glichen, ließ die ständige Bewegung keine Langeweile bei ihm aufkommen. Barber war überaus tüchtig, und in der verstaubten Ruhe jener Schlupfwinkel tat er kaum etwas anderes als arbeiten; ununterbrochen produzierte er Artikel und Bücher, nahm an Konferenzen teil und hielt Vorträge, widmete seinen Studenten und Kursen so viel Zeit, daß er es stets zum beliebtesten Lehrer auf dem Campus brachte. Seine wissenschaftliche Befähigung stand nie in Zweifel, doch die großen Schulen lehnten ihn auch dann noch ab, als der Makel von Ohio längst zu verblassen begann. Effing hatte von McCarthy gesprochen, aber mit der politischen Linken war Barber nur ein einziges Mal in Berührung gekommen, und zwar in den dreißiger Jahren an der Columbia, wo er sich als Mitläufer bei der Friedensbewegung betätigt hatte. Er stand auf keiner offiziellen schwarzen Liste, gleichwohl kam es seinen Gegnern gelegen, seinen Namen in ein rötlich angehauchtes Licht zu stellen, als hätten sie damit einen besseren Vorwand, ihn abzulehnen. Niemand rückte offen damit heraus, aber es herrschte wohl allgemein die Ansicht, daß Barber einfach fehl am Platz sei. Er war irgendwie zu groß, zu eigensinnig, zeigte allzuwenig Reue. Man stelle sich vor, ein Hüne von 350 Pfund, der mit einem Cowboyhut über den Campus der Yale University walzt. Schlicht unmöglich. Der Mann hatte kein Schamgefühl, kein Gefühl für Anstand. Seine bloße Anwesenheit würde die Ordnung der Dinge stören, und wozu Ärger provozieren, wo es doch so viele Bewerber gab, unter denen man wählen konnte?
    Vielleicht war es ja alles zu seinem Besten. Solange er sich am Rand hielt, konnte Barber bleiben, wer er sein wollte. Die kleinen Colleges waren froh, ihn zu haben, und da er nicht nur der fetteste Professor war, den man je gesehen hatte, sondern auch der Mann, der Hüte trug, nahm man ihn glücklicherweise auch von den kleinlichen Zänkereien und Intrigen aus, die das Leben in der Provinz zur Hölle machen können. Alles an ihm war so umfangreich und extravagant, so offensichtlich außerhalb der Norm, daß niemand es wagte, ein Urteil über ihn zu fällen. Meist traf er im Spätsommer ein, völlig verstaubt von tagelanger Fahrt, einen Wohnanhänger im Schlepptau seines verbeulten, qualmspeienden Wagens. Waren Studenten in der Nähe, heuerte er sie gleich an, seine Sachen auszuladen, zahlte ihnen fürstlichen Lohn für ihre Mühe und lud sie danach alle zum Lunch ein. Das war schon immer ein guter Auftakt. Sie sahen seine umwerfende Büchersammlung, die unzähligen Hüte, den Spezialschreibtisch - das Pult des heiligen Thomas von Aquin, wie er das nannte -, den er sich in Topeka hatte anfertigen lassen und aus dessen Schreibfläche ein großer Halbkreis herausgesägt war, damit sein Bauch ausreichend Platz hatte. Es war schwer, nicht von ihm fasziniert zu sein: wenn man sah, wie er sich auf seine atemlos keuchende Art bewegte, wie er seine enorme Masse von einem Ort zum anderen wuchtete, wie er ständig jene langen Zigarren rauchte, die überall auf seiner Kleidung Aschenflecke hinterließen. Die Studenten machten sich hinter seinem Rücken ständig lustig über ihn, aber sie waren ihm auch ergeben, und für diese Söhne und Töchter von Farmern, Ladenbesitzern und Pfarrern verkörperte er so ziemlich alles, was sie jemals an wahrer geistiger Größe kennenlernen würden. Unvermeidlich schlugen die Herzen mancher Schülerinnen der gemischten Klassen für ihn (was beweist, daß der Geist tatsächlich stärker als der Körper sein kann), doch Barber hatte seine Lektion gelernt und ließ sich nie wieder in diese Falle locken. Insgeheim erfreute er sich daran, wenn die jungen Mädchen ihn wie mondsüchtig umschwärmten, aber er tat so, als merke er nichts davon, spielte seine Rolle als gelehrter Griesgram, als leutseliger Eunuch, der sich über alle Begierden hinweggefressen hatte. Ein schmerzliches, einsames Treiben, das ihm freilich einen gewissen Schutz bot, und wenn es auch nicht immer funktionierte, so hatte er doch zumindest gelernt, wie wichtig es war, die Rolladen unten zu lassen und die Tür verschlossen zu halten. In all den Jahren seines Umherziehens hatte kein Mensch jemals etwas an ihm auszusetzen. Er überwältigte die Leute mit seiner Einzigartigkeit, und bevor die Kollegen seiner überdrüssig werden konnten, zog er bereits zum

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