Mond über Manhattan
wenigstens einen oder zwei Happen in den Magen bekam. Gewiß war ich am Ende erschreckend abgemagert, wog nur noch 112 Pfund, doch der Gewichtsverlust kam hauptsächlich während meiner letzten Tage im Park zustande. Ich hatte mir nämlich irgend etwas eingefangen - eine Grippe, ein Virus, weiß der Himmel was -, und von da an aß ich überhaupt nichts mehr. Ich war zu geschwächt, und wenn es mir einmal gelang, mir etwas in den Mund zu stecken, kam es gleich wieder heraus. Wenn meine beiden Freunde mich nicht schließlich gefunden hätten, wäre ich wohl mit ziemlicher Sicherheit gestorben. Ich hatte keine Reserven mehr, meine Kraft zum Kämpfen war versiegt.
Das Wetter war von Anfang an auf meiner Seite gewesen, und zwar so sehr, daß ich bald gar nicht mehr daran dachte. Fast jeden Tag wiederholte sich das gleiche Bild: ein schöner Spätsommerhimmel, eine heiße Sonne, die den Boden austrocknete, und angenehm kühle Nächte voller Grillengesang. In den ersten zwei Wochen regnete es fast gar nicht, und wenn, dann höchstens ein paar Spritzer. Ich begann mein Glück herauszufordern, schlief mehr oder weniger unter freiem Himmel, zumal ich mich inzwischen überall sicher fühlte. Bis ich eines Nachts, als ich, nur den Himmel über mir, träumend im Gras lag, von einem Wolkenbruch überrascht wurde. Es war eine wahre Sintflut: plötzlich riß der Himmel auf, und unter ohrenbetäubendem Lärm schoß eimerweise das Wasser herab. Als ich aufwachte, war ich schon durchnäßt, und die Tropfen trommelten wie Schrotkugeln auf meinen Körper ein. Ich begann durch die Dunkelheit zu laufen, suchte verzweifelt nach einem Platz, wo ich mich unterstellen konnte, aber es dauerte einige Minuten, bis ich unter einem Felsvorsprung Zuflucht fand, und da spielte es praktisch schon keine Rolle mehr. Ich war naß wie einer, der den Ozean durchschwömmen hat.
Der Regen hielt bis zur Dämmerung an, ließ zwischendurch zu einem Nieseln nach, brach dann wieder mit monumentaler Wucht los - kreischend fuhren die Schleusen des Himmels auf, es war der reinste Zorn, was aus den Wolken herabstürzte. Diese Ausbrüche waren unvorhersehbar, und ich wollte nicht riskieren, von einem erwischt zu werden. Stumm verharrte ich auf meinem winzigen Fleck, stand einfach da in meinen vollgelaufenen Stiefeln, meinen feuchten Jeans, meiner glänzenden Lederjacke. Mein Rucksack war genauso durchweicht wie alles andere, so daß ich auch nichts Trockenes zum Umziehen hatte. Mir blieb nichts anderes übrig, als das Ende abzuwarten, wie ein streunender Köter in der Dunkelheit zu zittern. In den ersten ein oder zwei Stunden mühte ich mich nach Kräften, kein Selbstmitleid aufkommen zu lassen, aber dann gab ich es auf und erleichterte mich mit einem Schwall von Schreien und Flüchen, verwandte meine ganze Energie auf die unflätigsten Verwünschungen, die mir einfielen - gräßliche Schimpfkanonaden, gehässige und weitschweifige Schmähungen, bombastische Ausfälle gegen Gott und die Welt. Nach einer Weile hatte ich mich so hineingesteigert, daß ich gleichzeitig schrie und schluchzte, daß ich buchstäblich im selben Atemzug schimpfte und einen Schluckauf hatte, und doch gelangen mir bei alldem derart kunstvolle und gewundene Formulierungen, daß selbst ein türkischer Halsabschneider davon beeindruckt gewesen wäre. Das ging etwa eine halbe Stunde so. Danach war ich so erschöpft, daß ich im Stehen einschlief. Nach einigen Minuten weckte mich die nächste Regenattacke. Ich wollte meine Angriffe erneuern, aber ich war zu müde und heiser, um weiter zu schreien. Wie in Trance und voller Selbstmitleid blieb ich den Rest der Nacht einfach stehen und wartete auf den Morgen.
Um sechs Uhr ging ich in ein billiges Restaurant an der West 48th Street und bestellte mir einen Teller Suppe. Ich glaube, es war Gemüsesuppe, glitschige Selleriestücke und Karotten in gelblicher Brühe. Das wärmte mich ein bißchen, aber da mir noch immer die nassen Kleider auf der Haut klebten, drang die Feuchtigkeit einfach zu tief, als daß die Suppe irgendeine dauerhafte Wirkung hätte haben können. Ich ging nach unten in die Herrentoilette und trocknete mir den Kopf unter einem elektrischen Händetrockner. Zu meinem Entsetzen wurden mir die Haare von der heißen Luft so lächerlich zerzaust, daß ich am Ende wie ein Wasserspeier aussah, wie eine dieser verrückten Figuren, die von den Glockentürmen irgendwelcher gotischen Dome glotzen. Fest entschlossen, den Schaden zu beseitigen,
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