Mondberge - Ein Afrika-Thriller
des ugandischen Militärs so gut wie ausgeschlossen, und die Frage, ob deutsche Einheiten vor Ort eingreifen konnten, blieb ungeklärt. Darüber hinaus betonte der Botschafter, Uganda sei eigentlich gar nicht zuständig, da die Rebellen ja aus der Demokratischen Republik Kongo heraus agierten und vermutlich längst dorthin zurückgekehrt seien. Wiese vermutete, dass hinter diesem Verhalten ein Groll der ugandischen Regierung gegen die Bundesregierung steckte. Diese hatte sich vor Kurzem kritisch gegenüber den Menschenrechtsverletzungen des afrikanischen Staates geäußert.
Kostbare vierundzwanzig Stunden waren bereits vergangen, seit sie sich zum ersten Mal zusammengesetzt hatten. Wiese und seine Kollegen hatten in alle denkbaren Richtungen recherchiert und verhandelt, aber so gut wie nichts erreicht. Der Leiter des Krisenreaktionszentrums wurde das Gefühl nicht los, dass irgendjemand seine Bemühungen um eine schnelle und unkomplizierte Aufklärung blockierte. Er musste herausbekommen, wer da seine Finger im Spiel hatte.
Wiese saß im Zug nach Hamburg. Er wäre lieber mit dem Wagen gefahren und ungestört gewesen, aber er wollte nicht noch mehr Zeit verlieren, wenn er hinter dem Steuer nur mit halber Kraft arbeiten konnte. Sie hatten ausführlich beratschlagt, wie sie den Anruf Bernard Kayibandas einschätzen sollten. Der Mann wusste offensichtlich deutlich mehr als sie. Ob er wirklich etwas mit der Geiselnahme zu tun hatte, war weiterhin unklar. Als man sich über die Hintergründe der Entführten informiert hatte, waren allerdings Zusammenhänge aufgetaucht, die die Besorgnis im Auswärtigen Amt noch einmal deutlich verstärkten.
Die Tochter des Generalbundesanwalts, Andrea Katharina von Schellenburg, war mit einer alten Freundin, Birgit Brandt, nach Uganda gereist. Die beiden waren offenbar seit vielen Jahren miteinander befreundet und hatten sich zu einer Trekkingtour ins Ruwenzori-Gebirge und zu einem Besuch bei den Berggorillas im Südwesten Ugandas entschlossen.
Die deutsche Botschaft in Kampala hatte die Tochter des obersten deutschen Strafverfolgers gewarnt, hatte sie gebeten, diese Wanderung nicht zu unternehmen, aber sie hatte sich geweigert.
Bei ihrer Freundin Birgit Brandt trat zusätzlich eine ungewöhnliche Verbindung ans Licht: Sie arbeitete als Gefängnisärztin in Hamburg. Genau in der Justizvollzugsanstalt, in der Bernard Kayibanda seit sechs Monaten einsaß. Das konnte kein Zufall sein. Vielleicht hatte der Afrikaner sie ins Vertrauen gezogen. Denkbar wäre auch, dass er sie massiv unter Druck gesetzt hatte. Bei ihren Recherchen waren sie allerdings bisher auf nichts gestoßen, was als Druckmittel gegen Birgit Brandt dienen könnte. Also musste Wiese davon ausgehen, dass es eine persönliche oder politische Verbindung zwischen Brandt und Kayibanda gab. Daher hatte er entschieden, dass er mit dem Inhaftierten persönlich sprechen musste.
Er nahm sich noch einmal die Unterlagen vor. Acht Reisende waren entführt worden. Andrea von Schellenburg stand vermutlich im Zentrum der Geiselnahme. Aber was wollten die Rebellen erreichen? Wiese hatte versucht, über den ugandischen Botschafter mit den Geiselnehmern direkt in Kontakt zu treten, aber das schien unmöglich. Natürlich hatte er sofort ein Expertenteam nach Kampala geschickt, doch die Mitarbeiter mussten erst einmal von der ugandischen Hauptstadt quer durch das Land reisen, um überhaupt in die Nähe des Ruwenzori zu gelangen. Dabei verstrich ungenutzte Zeit. Zu viel Zeit. Wiese wusste aus jahrelanger Erfahrung, dass ein gewaltfreies Ende mit jeder Stunde, die verstrich, unwahrscheinlicher wurde. Dafür brauchte er die statistischen Erhebungen nicht, die seine Erfahrungen allesamt auf dramatische Weise bestätigten.
Birgit Brandt spielte irgendeine entscheidende Rolle bei der Geiselnahme. Wiese spürte das, hatte jedoch nicht einmal eine vage Ahnung, auf welche Art sie involviert war. War sie ausgehorcht worden? Hatte sie freiwillig Informationen geliefert? Oder hatte sie sogar aktiv an dem Geschehen mitgewirkt?
Wiese blätterte weiter durch die Unterlagen. Tom Hartmann, ein Fotojournalist, der schon mehrmals in Uganda gewesen war. Warum war er dieses Mal nach Uganda geflogen? Hatte er vor der Reise Kontakt zu Andrea von Schellenburg gehabt? Bislang hatten sie keine Verbindung zwischen den beiden herstellen können. Auch nicht zwischen dem Fotografen und der Ärztin. Bis jetzt sah es so aus, als wären sie sich niemals zuvor
Weitere Kostenlose Bücher