Mondberge - Ein Afrika-Thriller
Händen. Das hat sie getan. Sonst wäre ich vermutlich heute nicht hier. Denn Idi Amin ließ alle abschlachten, die sich gegen ihn stellten. Er machte keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, zwischen Erwachsenen und Kindern. Wer in seinem Ansehen sank, war verloren. Und meine Mutter wusste nicht, ob sie meinen Vater schon erschossen hatten oder ob er noch lebte. Erst später hat sie erfahren, dass er geflohen war.«
Das Heulen und Pfeifen, das direkt aus den Felsen zu kommen schien, nahm zu. Sie berührte Peter kurz mit ihrem linken Arm, um sich zu versichern, dass er noch bei ihr war. Dann meinte Andrea, hinter sich Schritte zu hören. Kurz hatte sie den Eindruck, jemand stehe rechts neben ihr. In ihrem Nacken spürte sie einen warmen Luftzug. Wie Atem. Sie schüttelte sich, um dieses unheimliche Gefühl loszuwerden, doch es blieb.
»Mein Vater kann kein Berater eines Diktators gewesen sein. Sonst wäre er doch bei uns niemals auf den Posten gekommen, den er heute hat.«
»Bisher hast du genau daraus ein Geheimnis gemacht, ...«
»Er ist der deutsche Generalbundesanwalt. Wenn er auf Reisen geht, ist das ein riesiger Staatsakt, denn einer seiner Vorgänger ist in den 70er Jahren von Terroristen erschossen worden.« Immer wieder horchte Andrea auf die ungewohnten Geräusche um sie herum.
»Jetzt verstehe ich allmählich...«, raunte Peter. »Dann galt diese Entführung dir.«
»Bisher habe ich niemandem davon erzählt.«
»Nicht einmal Tom?«
»Nicht einmal Tom.«
»Und was ist mit Birgit?«, fragte Peter. »Ihr habt euch ja schon vorher gekannt. Aber sie scheint keine besonders gute Freundin von dir zu sein, oder? Ihr habt euch in den ersten Tagen der Tour oft gestritten.«
Andrea zuckte mit den Schultern.
»Birgit ist manchmal etwas schwierig. Wir haben eine ganze Weile nichts miteinander zu tun gehabt. In der letzten Zeit war es wieder etwas besser.«
»Ich habe lange gedacht, es ginge um sie.«
»Wie kommst du darauf?« Andrea sah sich hin und wieder unsicher um.
»Die Leute, die nach den Listen für die nächsten Trekkingtouren gefragt haben, haben nach Birgits Namen geforscht.«
»Das verstehe ich nicht. Wieso Birgit? Was hat sie denn damit zu tun?«
»Ich bin sicher, das werden wir noch herausbekommen.«
Die Wände rückten bis auf einen schmalen Durchgang zusammen, das Wasser schoss an ihnen vorbei, eine lange Schräge hinab. Sie mussten sich mit den Händen an den scharfen Kanten der Felsen festhalten, damit sie nicht abrutschten und mit der Strömung fortgerissen wurden. Peter kletterte als Erster hinauf und zog Andrea dann hoch. Kurz darauf meinte sie hinter sich wieder etwas Lebendiges zu spüren; eine Gänsehaut überzog sofort ihren gesamten Körper. Sie konnte sich nicht umdrehen, sonst hätte sie den Halt verloren. Allmählich stieg Panik in ihr auf. Sie wollte hier raus. Andrea hatte das Bedürfnis zu schreien. Der Drang breitete sich immer tiefer in ihr aus, bis in ihren Magen, in den Bauch, in den Unterleib. Ihr gesamter Körper sehnte sich nach einem Schrei. Aber sie hatte keine Kraft dazu. Sie musste sich weiter an diesen glitschigen Felsen hochziehen, riss sich dabei die Finger auf, spürte die Erschöpfung und die Schmerzen in jeder Faser ihres Körpers.
Als sie das letzte Stück an Peters Hand erklommen hatte, wurde der Weg etwas weiter, höher. Das Licht der Stirnlampe reichte wieder, um schemenhafte Strukturen zu erkennen. Andrea fühlte sich endlich wieder etwas besser. Sie sah sich kurz um. Und blickte in zwei aufgerissene Augen. Andrea stockte der Atem, dann brach der Schrei aus ihr heraus. Und nicht nur aus ihr. Zwei Frauenstimmen gellten durch das Höhlensystem, das den Schall sofort hundertfach zurückwarf. Andrea stolperte, rutschte weg, stürzte zu Boden. Sie schrie noch immer. Das Licht der Lampe schwenkte herum, tastete sie zitternd ab, schnellte weiter nach oben und blieb an der kanarienvogelgelben Jacke von Kathrin hängen.
Das Echo der Schreie verstummte, Stille breitete sich aus, selbst die Geräusche aus der Felswand schienen in den Hintergrund zu treten. Nur das Wasser sprudelte weiter gurgelnd an ihnen vorbei. Der Lichtstrahl war auf Kathrins Gesicht gerichtet. Sechs Augen sahen sie fassungslos an. Georg war der Erste, der sich fing.
»Wer ist das?«, fragte er leise.
»Kathrin«, antwortete Andrea, noch immer auf der Erde liegend. »Woher kommst du?«
Kathrin sah Andrea an, blickte auf Georg, wandte sich zu Peter um, dann taumelte sie. Peter
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