Mondberge - Ein Afrika-Thriller
er selber jagen.
Nach einer halben Stunde raschelte es im Unterholz. Kambere spannte die Muskeln an. Dann war es wieder still. Gebannt starrte er in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Plötzlich wurde das Rascheln wieder lauter, und ein Blauducker raste an ihnen vorbei, rannte mit voller Wucht in das gespannte Netz und verfing sich in den Maschen. Die beiden Jungen sprangen auf, doch bevor sie etwas tun konnten, waren zwei Männer mit gezückten Speeren da und stießen sie in die kleine Antilope. Das Tier zuckte einmal, dann war es tot. Zufrieden blickten die Männer auf ihre Beute. Da raschelte es in einiger Entfernung erneut und das Netz vibrierte wieder. Etwa fünfzig Meter weiter sprang Kamberes Vater aus dem Gebüsch und stürzte sich auf einen zweiten Ducker. Sie hatten ein Paar erwischt. Das war eine gute Beute für diesen Tag.
Als sie mit den Netzen und dem Fang an das Seeufer zurückkehrten, hatten die Frauen bereits Kassava vorbereitet. Sie empfingen die Jäger und Treiber mit Gesängen über die erfolgreiche Jagd. Diese Melodien kannte Kambere gut, denn sie begleiteten ihn seit seiner Kindheit fast jeden Tag.
Vom Ufer aus konnte man sehen, dass die Vorbereitungen für die Feier auf der Insel in vollem Gang waren. Kambere war gespannt. Noch nie hatte er die Feierlichkeiten im Vorfeld einer Beschneidung erlebt, schließlich lag das letzte Fest dieser Art mehr als fünfzehn Jahre zurück. Kamberes Vater und die meisten anderen Dorfbewohner stiegen nach dem Essen wieder in die Boote und paddelten auf die Insel zu. Nur die Jungen, die zur Beschneidung ausgewählt waren, und ihre Lehrer Mbusa und Kathya blieben zurück.
Als es dunkel wurde, bemerkte Kambere den hellen Schein des zunehmenden Mondes hinter den Wolken. Er fragte sich, woher die Alten, die den Termin der Beschneidung festlegten, wussten, dass sich genau an diesem großen Tag die Wolken zurückziehen und den Vollmond freigeben würden. Auch das hatte er noch nie erlebt. Denn nur an einem Tag, der einer wolkenlosen, ganz besonderen Vollmondnacht vorausging, war die Beschneidung in der Tradition seines Volkes erlaubt.
21
Ostseite des Ruwenzori, 13. Juni
Mit einem lauten Knirschen und Krachen gab das Eis nach. Tom brach ein. Das eiskalte Wasser durchnässte seine Schuhe, die Hose, die Jacke, das Wasser schlug über seinem Kopf zusammen. Toms Herz schien auszusetzen. Die Zeit hielt den Atem an. So kalt. Er ruderte mit den Armen, fasste um sich und bekam ein Stück Stoff zwischen die Finger. Er packte zu. Jens’ Jacke. Licht oben. Tom tauchte aus dem Wasser auf. Luft. Der eisige Luftstrom stach in seine Lungen. In der Hand noch immer die Jacke, an der ein schweres Gewicht hing. Er musste loslassen, um nach der Bruchkante zu greifen, konnte sich festhalten, hievte sich aus dem Wasser. Ein Blick zurück in das nasse Loch. Jens’ Augen, weit geöffnet vor Angst. Flehend. Sein Mund öffnete sich, Wasser schwappte hinein, der Kopf verschwand. Er wurde von der Strömung mitgezogen – unter das Eis. »Jens!« Toms Stimme überschlug sich. »Jens!« Eine Hand schlug von unten gegen das Eis, die Finger suchten Halt, fanden ihn nicht. Jens!« Tom hämmerte mit aller Kraft auf die Eisfläche, der Schmerz durchfuhr seine steifgefrorene Faust. »JENS!« Stille. »J E N S !!!«
Tom erwachte schweißgebadet. Starr blickte er an die Decke der rohen Holzkonstruktion mit dem Wellblech darüber. Gegenüber erwachte auch Hans, setzte sich auf und gähnte. Tom schloss die Augen. Er wollte noch einen Moment für sich sein. Hans erhob sich, streifte eine Fleece-Jacke über, schlüpfte in seine Schuhe und verließ die Hütte.
Die Unterkünfte der John-Matte-Hüttenanlage, benannt nach dem Gründer der Ruwenzori-Touren für Wanderer, waren um einen kleinen Platz herum angeordnet. Die schönste von ihnen war die Hütte für die Touristen und bestand aus drei Räumen. Der erste war sowohl Schlaf- als auch Aufenthaltsraum. In ihm befanden sich sieben einfache Pritschen, ein Tisch und zwei roh gezimmerte Holzbänke. Hier hatten die Männer ihr Lager aufgeschlagen. Birgit, Andrea und Kathrin schliefen in einem der kleineren Räume, in dem fünf schlichte Schlafstellen zum Erholen von der Tour einluden. Kathrin wollte selbstverständlich ein Zimmer mit Kai zusammen beziehen, war dann jedoch – wenn auch widerstrebend – mit in den Frauenraum gezogen. Eine Hütte für die Träger und Guides und eine Küchenhütte vervollständigten das Ensemble.
Birgit
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