Mondberge - Ein Afrika-Thriller
unterhalten. Hans schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie unter Umständen für seine Ziele nützlich sein könnte.
»Ich bin im Staatsdienst angestellt«, gab sie übellaunig zurück.
»Was machst du denn hier schon so früh über einer Landkarte?«
Sie ahnte, wie die Gedanken hinter Hans’ Stirn nur so vorbeijagten. Er blickte sie mit klaren Augen an, die gar nicht zu dem geschwätzigen, etwas ungelenken Mann passen wollten, als den sie ihn bisher erlebt hatte.
Wie lange hatte sie schon hinter ihm gestanden? Konnte sie irgendwelche Schlüsse aus seinen Aufzeichnungen ziehen?
»Ich liebe es, die Sonne hinter den Bergen aufgehen zu sehen.« Er wandte sich wieder dem Tal zu. »Auf der Karte habe ich mir die heutige Route noch einmal angesehen.« Er tastete unauffällig nach der Karte in seiner Tasche. »Nach dem Regen in der letzten Nacht werden wir für diese Etappe vermutlich länger brauchen als geplant.«
»Bislang hatten wir doch auch kaum Schwierigkeiten.« Sie setzte sich auf einen Stein neben ihm.
»Heute müssen wir zwei große Sümpfe durchqueren. Die Wanderschuhe kannst du getrost im Rucksack lassen, denn ohne Gummistiefel geht ab jetzt gar nichts mehr. Heute heißt es Grasbüschelhüpfen und Balancieren«, fuhr er lächelnd fort. »Vor allem die Grasbüschel haben es ganz schön in sich.«
»Woher weißt du das? Du kennst den Weg doch gar nicht.« Sie betrachtete die Wolken.
»Das ist richtig. Aber ich war letzte Woche bei meinem Bruder im Bwindi-Nationalpark.« Als sie nicht darauf reagierte, setzte er hinzu: »Bei den Berggorillas. Da sind die Verhältnisse ähnlich«
Jetzt drehte sie ihm neugierig den Kopf zu.
»Zu den Berggorillas fahren wir doch erst nach der Wanderung. Kommst du nicht mit?«
»Nein, ich fliege dann schon wieder nach Deutschland zurück.« Es war im Grunde völlig egal, was er sagte. Für ihn gab es die Zeit nach dieser Wanderung nicht. In ein paar Tagen würde das alles keine Rolle mehr spielen. »Mein Bruder arbeitet als Leiter einer Forschungsstation, die sich mit den Berggorillas beschäftigt. Er ist so etwas wie eine männliche Dian Fossey. Der ist eine richtige Konifere auf dem Gebiet.«
Birgit zog die Augenbrauen hoch.
Hans erhob sich langsam. »Ich lasse dich dann mal mit der Sonne allein und sehe dich beim Frühstück.«
Er klopfte ihr leicht auf die Schulter, bevor er sich dem Lagerplatz zuwandte, der langsam zum Leben erwachte. Birgit blickte ihm irritiert hinterher. Komischer Kauz.
Aber er sollte recht behalten mit seiner Vorwarnung. Die Wanderung dieses Tages führte tatsächlich durch ein weites Tal, das von den schroffen Felsen der umgebenden Berge eingerahmt war. An den Hängen wucherten riesige Erika-Bäume, jede Spalte des Gesteins schien von den Wurzeln des unendlichen Urwaldes okkupiert zu sein. Der Grund des Tals war von einem Sumpf bedeckt, durch den sich schnurgerade die schlammige Spur eines Weges zog. Mehrere Meter hohe Lobelien unterbrachen die Gleichförmigkeit der Ebene, wenige Büsche schoben sich aus dem morastigen Boden heraus. Abertausende von Tussok-Grasbüscheln überwucherten den Sumpf, dünne Gräser, brusthoch wachsend. Der Weg bestand lediglich aus den von Menschen heruntergetretenen Strünken der Gräser, die zugleich den einzigen Halt boten. Daneben schlummerte der Morast, nur darauf wartend, jedem unachtsamen Wanderer die Stiefel für immer von den Füßen zu ziehen. Die Temperatur stieg auf fünfzehn Grad an. Die Luft war drückend.
Kathrin und Birgit hatten große Probleme, springend von einem Grasbüschel zum anderen voranzukommen. Kathrin hatte sich überreden lassen, die kniehohen Gummistiefel zu tragen, doch sie schimpfte bei jedem Schritt laut vor sich hin, verfluchte ihren Freund Kai, den sie für diesen Wahnsinn verantwortlich machte, was dieser mit konsequenter Nichtbeachtung beantwortete. Einer der Guides musste ständig in Kathrins Nähe sein. Mehrmals bewahrte Peter sie mit einem schnellen Griff vor dem sicheren Sturz in das morastige Wasser. Jedes Mal bedankte sie sich mit einem gequälten Lächeln, dem eine gehörige Spur Verachtung beigemengt war, die allen galt, die an der Springerei auch nur annähernd Spaß haben konnten.
Birgit fiel weit zurück. Sie trieb niemals Sport, und das machte ihr nun zu schaffen. Bei jeder Bewegung schnaufte sie wie eine alte Dampflok und ihre kurzen Beine machten das Erreichen des nächsten Grasbüschels nicht leichter. Manfred motivierte sie immer wieder, weiterzugehen. Sie
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