Mondberge - Ein Afrika-Thriller
...«, meinte Andrea versöhnlich.
Nun wirbelte Birgit herum und zischte Andrea zu: »Komm einfach mal von deinem hohen Ross runter. Es geht nicht immer nur um dich. Deine Männergeschichten gehen immer in die Brüche – das war damals so, ist jetzt so und wird auch immer so bleiben. Oder wie war das noch gleich mit dem Typen letzten Monat?« Dann sprang sie weiter.
Andrea blickte ihr fassungslos nach.
»Andrea?« Peter stand neben ihr. »Ist alles in Ordnung?«
Er legte seine Hand sanft auf ihre Schulter. »Was hat sie gesagt?«
»Es ist nicht wichtig«, antwortete Andrea.
Dann fasste sie ihren Wanderstab fester, tastete nach dem nächsten Grasbüschel und machte sich wieder auf den Weg durch den Sumpf. Die beiden Bergspitzen über ihr hoben sich schwarz vor dem hellen Himmel ab. Die Wolken wogten sichtbar zwischen ihnen hin und her, ein kalter Windstoß fuhr durch ihre Kleidung. Mit entschlossenen Schritten ging sie weiter.
Birgit hatte durch ihren Ausbruch offenbar wieder Kraft geschöpft und war ihr nun weit voraus. In der Entfernung konnte Andrea Tom sehen, der am Rand der Talsenke auf einem großen Stein saß. Andrea beschleunigte ihre Schritte, sprang von einem Büschel zum anderen, bis sie nach ein paar Minuten völlig außer Atem das Ende des Sumpfes erreichte. Sie stapfte auf Tom zu, der sie müde ansah, als sie vor ihm stehen blieb.
»Was ist los? Alles klar?«, wollte sie von ihm wissen.
»Ich habe letzte Nacht nicht besonders gut geschlafen, das ist alles.« Er schüttete die letzten Tropfen aus seiner Wasserflasche in den Mund, packte seinen Wanderstab und stand auf. »Mir geht’s gut, mach dir keinen Kopf.« Dann stiefelte er entschlossen auf den schmalen Pfad zu, der sich am Fuß einer steilen Felswand durch ein Tal schlängelte.
Schon nach ein paar Schritten umgab ihn ein dichter Wald; der Boden war mit einem weißen Teppich aus weit geöffneten Strohblumen bedeckt, die sich in alle Richtungen unter den hohen Pflanzen ausbreiteten. Links und rechts vor den Wanderern posierten endlich die Berge Mount Baker und Mount Speke, als wollten sie miteinander wetteifern. Selbst der Mount Stanley direkt vor ihnen war frei von Wolken. Tom staunte über die imposante Größe dieser Berge. Noch waren sie mehr als tausend Meter unterhalb ihrer Gipfel.
Der Mount Stanley. Die höchste Erhebung des Ruwenzori. Die kongolesisch-ugandische Grenze verläuft genau über die höchste Spitze des Berges. Der Italiener Luigi Amedeo Giuseppe Maria Ferdinando Francesco di Savoia-Aosta, Herzog der Abruzzen, schaffte 1906 als Erster den Aufstieg auf die Margherita-Spitze, die 5.109 Meter hoch ist. Gleich daneben erhebt sich die Alexandra-Spitze, mit 5.081 Meter ist sie fast genauso hoch. Trotz der Nähe zum Äquator befindet sich zwischen den beiden kargen Felsen ein gewaltiger Gletscher, der jedoch zum großen Leidwesen heutiger Bergsteiger bereits auf ein Zehntel der Fläche geschrumpft ist.
Tom lächelte. Er hatte gut recherchiert, wusste alles über dieses Gebirge. Glaubte er zumindest.
Wieder floss der Nebel in dicken Schwaden um Tom herum. Der Weg war so rutschig, dass er sich auf jeden seiner Schritte konzentrieren musste. Neben ihm erhob sich nun eine Felswand dunkel und feucht in die Höhe. Andrea ging wieder vor ihm, kurz hinter ihm folgte Peter.
Im Nebel vor ihm zeichnete sich eine Gestalt ab. Tom tippte auf Andrea. Wartete sie auf ihn? Er lächelte unwillkürlich, denn er fühlte sich wohl bei diesem Gedanken. Als er näher kam, entdeckte er, dass es nicht Andrea war, sondern ein Mann, nein, ein Junge. Der Junge vom Vortag.
Tom blieb abrupt stehen. Der Junge sah ihn an, und doch konnte Tom das Gesicht nicht erkennen. Er beschloss, der Erscheinung sofort nachzugehen, stapfte mit eiligen Schritten auf die Gestalt zu, doch diese entfernte sich mit jedem Meter, den Tom zurücklegte, weiter von ihm. Schließlich war sie verschwunden.
Tom ging zügig weiter, bis er wieder auf Andrea stieß, die ihn erwartungsvoll beäugte. Tom konnte ihren Blick nicht erwidern. In seinem Kopf drehte sich alles. Er war zu schnell gegangen. Schwindel. Er schüttelte den Kopf, atmete tief durch. Nicht schlapp machen. Nicht jetzt.
Es dauerte noch weitere zwei Stunden, bis sie endlich die Bujuku-Hütte auf fast viertausend Metern Höhe erreichten. Tom sank auf eine Bank und konnte sich nicht daran erinnern, wie er das letzte Teilstück der Strecke zurückgelegt hatte, wie er hierhergekommen war. Die Hüttenanlage war
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