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Mondherz

Mondherz

Titel: Mondherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Spies
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ließ er die Zügel los. Er zog eine Steinschleuder und einen Beutel mit Kieseln aus dem Gürtel. Mit bloßem Schenkeldruck lenkte er sein Pferd, während ein Mann sich ihm mit erhobener Streitaxt näherte. Paulos Handgelenke wirbelten, dann flog ein Stein pfeilgerade durch die Dämmerung. An der Schläfe getroffen sank der Soldat zu Boden. Im gleichen Augenblick rollte der Donner wie ein göttliches Brüllen über die Ebene. Dann setzte der Regen ein.
    Sie tastete nach ihrem Körper, fühlte die Haare auf der nackten Brust, die sich rasch zurückzogen. Sie versuchte sich aufzurichten, doch sofort verschwamm ihr Blick, der Himmel wurde dunkel. Mit einem Seufzen ließ sie sich zurück auf den Boden sinken und schloss die Augen.
     
    Als sie erwachte, schlugen schwere Regentropfen auf das Hüttendach wie Finger auf ein Tamburin. Sie lag auf ihrem Mantel, jemand hatte ihr das zerfetzte Kleid wieder angezogen und eine Decke über sie gebreitet. Ein scharfer Schmerz fuhr durch ihre Stirn, als sie sich aufrichtete. Keuchend sank sie zurück.
    »Sachte«, sagte jemand zu ihr. Im nächsten Moment war Gábor da, Gábor, der sich über sie beugte und ihr übers Haar strich. Sein Gesicht sah in der Dämmerung weich aus. Er half ihr, sich in eine sitzende Position aufzurichten.
    »Was habe ich getan?«, flüsterte sie.
    »Ihr habt uns gerettet.« Er musterte sie ernst. »Die Soldaten sind tot.«
    Sie drehte den Kopf, erblickte in einer Ecke des Raums Paulo und die beiden anderen Roma. Da war auch Miklos, er kam eilig auf sie zu.
    »Veronika!« Er schloss sie in seine Arme. Sie stöhnte unwillkürlich, als aus dem dumpf pochenden Schmerz für einen Moment wieder eine Stichflamme wurde, und er schob sie auf Armlänge von sich weg. »Du hast uns einen Schrecken eingejagt«, sagte er, blinzelte ihr dabei aber aufmunternd zu.
    Ihr war jedoch nicht zum Lächeln zumute. Sie horchte in sich und suchte nach der Wölfin, erhielt aber keine Antwort. Die Wölfin hatte sich anscheinend in den hintersten Winkel ihres Geistes zurückgezogen.
    »Ich habe die Beherrschung verloren.« Ihre Augen suchten in Gábors Gesicht nach einem Echo der Vorwürfe, die sie sich selbst machte. »Ich habe die Männer angefallen wie eine Bestie.«
    Gábor erwiderte ihren Blick. »Ihr wolltet das Rudel schützen«, sagte er. »Das allein zählt.«
    Sie hörte das Verständnis in seiner Stimme, doch es beruhigte sie kaum. »Habe ich jemanden getötet?«
    Er schüttelte den Kopf, und ihr Herz wurde endlich leichter. »Macht Euch keine Sorgen. Ihr müsst Euch ausruhen.«
    Er wollte sich wieder erheben, doch sie griff nach seinem Arm. Er war so nah, dass sie seinen Herzschlag spürte, und mit jedem Atemzug nahm sie seinen Duft in sich auf. Ein warmes Gefühl strömte durch ihr Herz. Er war kein Trugbild, das wurde ihr jetzt erst richtig bewusst. Miklos und er waren bei ihr und am Leben. Ein Grund, Gott zu danken. Doch sie sah die Erschöpfung auf ihren Gesichtern, und noch mehr, einen traurigen Groll, der die Wölfin in ihr nun doch aufschreckte.
    »Laszlo Hunyadi ist tot«, sagte sie.
    »Ja.« Die Wut in Gábors Stimme ließ sie zusammenzucken. »Der König hat ihn ohne Verhandlung hinrichten lassen.«
    Brüsk schüttelte er den Kopf, als wolle er mit dieser Bewegung den Schmerz ausmerzen, den Veronika in ihm spürte.
    Da rief ihn Paulo: »Gábor. Wir müssen reden.«
    Kurz zögerte Gábor, sein Blick suchte Veronikas Gesicht, versank in ihren Augen. Für einen zeitlosen Moment sprachen wortlos ihre Wölfe miteinander, wisperten über Dinge, welche sich ihre Menschen nicht getrauten zu sagen. Doch dann entfernte er sanft Veronikas Hand von seinem Arm. »Lasst Euch von Miklos alles Weitere erzählen«, murmelte er. »Ich werde mich derweil mit Euren neuen Freunden unterhalten.«
    Obwohl ihr noch unzählige Fragen auf den Lippen brannten, sah sie ihm stumm hinterher.
    Die Hütte, in der sie sich befanden, bestand aus einem einzigen leeren Raum und war nicht viel mehr als ein Unterstand für Menschen und Schafe. Zwischen den Holzbohlen pfiff der Wind hindurch. Dort drüben saßen Paulo und seine beiden Kumpane. Sie beobachteten den näher kommenden Gábor aus wachsamen Augen. Paulo schien Veronikas Blick zu bemerken, doch seine Miene blieb verschlossen. Sie schluckte. Sie hatte den Roma wahrscheinlich großen Ärger eingebrockt.
    »Die Pferdehändler haben nichts gesehen«, sagte Miklos, der ihrem Blick gefolgt war. »Sie kamen erst, als alles vorbei war. Dieser Paulo,

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