Mondlaeufer
neues Licht auf ihn und die Zukunft. Wenn sie das nun bekannt werden ließe und irgendwie beweisen könnte, dass Pol von denen abstammte, die Andrade so fürchtete und die die Faradh’im so gejagt hatten? Den anderen Prinzen war angesichts seines Lichtläufer-Talents schon nicht wohl; würden sie sich seiner Ausbildung in dieser Kunst so sehr widersetzen, dass Rohan Pols Faradhi -Training fallen lassen musste, um ihm den Thron zu sichern? Wenn sie nun diesen Jungen unterstützte und nicht die Söhne von Ianthe, wenn sie ihn zu ihrem Schüler machen könnte? Dieser Gedanke war sehr bestechend, trotzdem nahm Mireva kopfschüttelnd davon Abstand. In Pols Gesicht lag zu viel von diesem ehrenwerten Tölpel, seinem Vater. Ihre ehrgeizigen Machtspielchen würden ihm nicht schmecken.
Aber wenn sie nun nichts über Pols zweite Gabe verlauten ließe und Ruval Methoden beibringen könnte, die Diarmadh’im anwandten, um ihre eigenen Leute zu züchtigen oder gar zu töten? Ihr größtes Unglück war gewesen, dass diese Methoden nicht gegen Faradh’im wirkten; das hatten sie bis zum bitteren Ende erfahren müssen, als sie sich vergeblich gegen die Lichtläufer wehrten. Natürlich barg es ein gewisses Risiko, dem eigenwilligen Ruval solche Macht zu geben. Er konnte sie gegen seine Brüder oder sogar gegen sie selbst verwenden, wenn sie ihn nicht beherrschen konnte. Sie kannte Ianthes Söhne und traute keinem von ihnen.
Mireva verlangsamte ihre Schritte, als sich über den Bergen die Dämmerung erhob, und blieb stehen, als sie sah, wie die letzten Sterne vor einem neuen Tag voll gleißender Sommersonne verblassten. Ungewöhnlich unentschlossen dachte sie noch eine Zeit lang über diese Probleme nach, während sich die Luft um sie herum aufheizte und ihr selbst in ihrem dünnen Mantel zu warm wurde. Dann zuckte sie die Achseln. Sie würde abwarten, ob Ruval solche Methoden gegen Pol brauchte. Sie hatte noch viele Jahre Zeit, den Tod des Jungen zu planen. Und dann erinnerte sie sich daran, dass Lichtläufer auf besondere Art verwundbar waren, eine Art, die ihr Volk nicht kannte. Pols Faradhi -Blut machte ihn verwundbar dafür. Es würde interessant werden, seine Todesart auszuwählen: ob er durch sein stolzes Lichtläufer-Erbe oder durch das unerwartete Alte Blut sterben würde. Doch im Moment hatte sie andere Sorgen.
Seit Segevs Abreise an die Schule der Göttin hatte sie nichts von ihm gehört. Bald würde sie über das Sternenlicht zu ihm reisen müssen, um zu sehen, ob er dem Diebstahl der kostbaren Schriftrollen schon näher war. Bald würde sie auch herausfinden müssen, was aus Masul geworden war, der vier ihrer stärksten Gefolgsleute getötet hatte, als er seinem sichersten Weg zum Triumph entflohen war. Natürlich kannte sie die Gerüchte über ihn seit Jahren; Gut Dasan lag nur eine oder zwei Bergketten von ihrem Haus entfernt. Wieder zuckte sie verärgert mit den Schultern. Wenn er zu dumm war, die Macht auszuschlagen, die sie ihm bieten konnte, dann verdiente er es zu scheitern. Ob er Roelstras Sohn war oder nicht, war Mireva egal. Sie wollte ihn nur benutzen, um festzustellen, auf welche Weise Ruval Pol eines Tages am besten herausfordern konnte.
Doch damit kam sie zurück auf die quälende Frage, was sie Ruval nun wirklich beibringen sollte. Wie viel sie ihm beibringen durfte. Wie weit sie ihm vertrauen konnte.
Mireva stapfte im Dämmerlicht des Morgens weiter und fluchte, dass sie ihre Arbeit andere machen lassen musste. Als sie alle Hoffnungen hatte aufgeben wollen, ihr Volk je auf seinen rechtmäßigen Platz zurückzuführen, hatten ihr Lallantes Enkel wieder Mut und Ziel gegeben. Doch sie wünschte sich immer noch, sie hätten nicht so viel von Roelstra. Dieser Mann hatte sich von niemandem lenken lassen. Sie fragte sich plötzlich, ob Lallante ihn wohl deshalb geheiratet hatte. Ihre Verwandte war immer ein jämmerliches Dummchen gewesen, hatte die Macht gefürchtet und erklärt, dass ihr Volk nicht umsonst vor so langer Zeit besiegt worden sei. Der Hoheprinz Roelstra, der mächtigste Mann seiner Generation – bis Rohan kam –, hatte Lallante einen sicheren Hafen geboten, sicher vor allen Einmischungen. Einschließlich derer ihres eigenen Volkes. Und Roelstras Enkel würden genauso unregierbar sein, wie er es war. Wenn sie nicht außerordentlich aufpasste.
Kapitel 13
Eine solche Pracht hatte die Felsenburg seit über fünfundvierzig Jahren nicht gesehen, nicht seit jenem Tag, als Lallante eingetroffen
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