Mondlaeufer
ihn an, gerade zu stehen und sich wie der Sohn seiner Eltern zu benehmen. Er marschierte in den gewaltigen Bankettsaal, ohne seinen Blick von jenen Augen abzuwenden, die ihm so ähnlich waren und in einem ebenso beherrschten Gesicht standen.
Erleichtertes Gemurmel erhob sich unter den versammelten Vasallen, Botschaftern und Gefolgsleuten. Pol war sich ihrer bewusst, doch seine Aufmerksamkeit galt vor allem seinem Vater. Er kämpfte gegen das peinliche Bedürfnis an, sich in diese starken Arme schließen zu lassen. Gerade jetzt, wo er sich wie ein Mann benehmen musste, sehnte er sich wie nie zuvor danach, sich wie ein kleines Kind von seinem Vater umarmen zu lassen.
Rohan schritt die vier Stufen vom erhöhten Tisch herunter und legte Pol mit einem leisen Lächeln eine Hand auf die Schulter. Diese Geste und sein Gesichtsausdruck wirkten wie beiläufig, doch Pol fühlte, wie Rohans lange Finger ihn mit wilder, besitzergreifender Liebe festhielten. Dann sah Rohan über Pols Kopf hinweg auf die Menge. Sie drehten sich beide um und sahen die Versammlung an.
»Wir danken der Göttin und den guten Leuten auf der Felsenburg für die Sicherheit unseres geliebten Sohnes. Unter solchem Schutz wird er sicher lange und gut über die Prinzenmark herrschen.«
Jubel brach los, und Pol spürte, wie sein Vater steif wurde, als kämpfe auch er gegen den Wunsch, ihn fest in die Arme zu nehmen. Er verstand es. Sie waren jetzt nicht Vater und Sohn, sondern Hoheprinz und Erbe. Er sah sich um und war überrascht über die echte Freude und Erleichterung auf den meisten Gesichtern, gefesselt von dem vorsichtigen Lächeln auf den anderen. Niemand hier wünschte seinen Tod, dessen war er sich sicher. Aber es gab auch Leute, die sicher nicht allzu lange getrauert hätten.
Maarken und er folgten Rohan auf das Podest, wo Pol zwischen seinem Vater und Pandsala Platz nahm. Ihr Gesicht war bleich und ausdruckslos; sie sah ihn nicht an. Maarken saß auf der anderen Seite von Rohan. Er war ebenso erschöpft wie Pol, aber auch ebenso entschlossen, es nicht zu zeigen.
Alle im Saal schwiegen. Rohan sagte: »Erzähl uns, was passiert ist.«
Pol folgte der Aufforderung. Sie hatten sich nicht erst gewaschen und umgezogen; er wollte, dass alle die Blutergüsse und den Schmutz sahen. Vor allem Maetas Opfer hob er hervor, und wenn seine Stimme dabei zitterte, lastete ihm das sicher niemand an. Als er die Farben des Pfeiles erwähnte, der sie getötet hatte, ging ein Geraune durch den Saal. Sein Bericht schloss mit dem Dank an diejenigen, die ihn und Maarken in Sicherheit gebracht hatten. Auf dem Rückweg hatte er darauf geachtet, sich ihre Namen zu merken. Dann machte er eine Pause und sagte: »Ich danke Euch, dass Ihr mich heute unterstützt habt, und bedauere, dass ich es nicht bis zum Ende geschafft habe und Euch enttäuschen …«
Sie ließen ihn den Satz nicht zu Ende bringen. »Enttäuschen?«, rief jemand. »Wir sind es, die Euch enttäuscht haben!« Und zwischen ähnlichen Rufen erhob sich eine andere Stimme: »Es ist ein blödsinniger Brauch, der uns fast unseren Prinzen gekostet hat!«
»Ich werde es noch einmal versuchen«, erklärte Pol. »Und beim nächsten Mal schaffe ich es bis oben hin und verdiene mir den Flug – und ich mache es ganz allein!«
»Nicht, wenn ich dabei ein Wörtchen mitzureden habe!« Die große, klobige Gestalt von Cladon, Athri von River Ussh, baute sich im Mittelgang auf. »Ihr habt Euren Mut bewiesen, und dazu ist die Kletterpartie gedacht! Wir werden nicht zulassen, dass Euer Leben ein zweites Mal aufs Spiel gesetzt wird, junger Prinz!«
»Aber wie soll ich sonst jemals fliegen wie ein Drache?« Pol war sofort klar, wie kindlich sich dieser Ausruf angehört hatte, und seine Wangen glühten. Aber das Gelächter, das durch den Saal ging, war freundlich und verständnisvoll, ja sogar bewundernd. Er war verwirrt, bis er seinen Vater flüstern hörte: »Gut gemacht! Jetzt hast du sie in der Hand, Jungdrache!« Und er erkannte, dass er so ganz nebenbei etwas sehr Kluges getan hatte. Die Adligen der Prinzenmark hätten sich durch die Mutprobe sicherlich beeindrucken lassen – doch der Anschlag auf Pol steigerte seinen Wert in ihren Augen mehr als alles andere. Und er hatte sich schließlich ihrer Ergebenheit versichert, als er schwor, es noch einmal zu versuchen. Jetzt konnten sie ihn als ihresgleichen anerkennen, er war ihr Prinz.
Es war ein seltsames Gefühl, das ihn ein wenig an seine Reaktion bei seiner Ankunft
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