Mondlaeufer
beunruhigen, du bist noch so jung, aber du musst wissen, in welcher Lage wir stecken.«
Pol sagte leise: »Danke für das ›wir‹. Das hast du noch nie gesagt.«
Rohan zwinkerte ungläubig: »Wirklich nicht?«
»Nein. Es war immer für dich und Mutter oder Chay oder Maarken – nie mit mir als echtem Partner.«
Sein Vater sah nachdenklich aus. »Möglicherweise hast du mich ja heute genauso beeindruckt wie alle anderen. Du wirst erwachsen. Sehr schön. Wir, also du und ich, haben eine Menge zu bereden. Aber wir sollten auch mindestens bis morgen Mittag schlafen. Und das ist ein Befehl, von dem wir, nämlich dein Hoheprinz und dein Vater, erwarten, dass du ihn befolgst.«
Pol zog eine Grimasse und lachte dann. »Eines Tages werde ich die Wand ganz hochklettern und dann hinunterfliegen. Ich bin nicht umsonst der Sohn des Drachen!«
»Aber immer noch ein Jungdrache. Flieg rüber in dein Bett, und schlaf eine Runde.«
Kapitel 14
Andry sah seine Zuschauer an und versuchte, einen plötzlichen Anfall von Nervosität zu bekämpfen. Er hatte all seine Überredungskünste angewandt, um Andrades Zustimmung zu erhalten, dass lieber er als Urival eine Formel aus der Sternenrolle ausprobierte. Er wusste, dass es funktionieren würde. Er hatte den ganzen Tag über aufgeregt diesem Beweis für seine Theorie entgegengefiebert. Doch unvermittelt machte ihn die Vorstellung nervös, dass er uralte Zauberkünste anwenden würde. Er schluckte den komischen Klumpen in seiner Kehle hinunter und riss sich zusammen.
Er hatte die kleine Küche im Bibliotheksflügel für seine Vorstellung ausgewählt. Nicht nur deshalb, weil sich in diesem Teil der Burg zu dieser nächtlichen Stunde niemand anders aufhielt, sondern auch, weil es genügend fließend Wasser und ein Herdfeuer gab, über dem er seine Tränke brauen konnte. Und schließlich war dies auch der älteste Teil des Schlosses, wie er aus einem Plan in den Geschichtsberichten entnommen hatte, und wenn Lady Merisels Geist noch irgendwo in der Schule der Göttin umging, dann sicher hier.
Er sollte seine Versuche an Urival und Morwenna erproben, während Andrade zusehen wollte. Hollis war ebenfalls dabei. Sie wirkte ein bisschen angestrengt um die Augen herum, als sie ihm ein leises, ermutigendes Lächeln schenkte. Sie glaubte an seine Auslegung der Schriftrollen und konnte deshalb nicht an den Versuchen teilnehmen. Daher sollte sie ihm helfen und einen weiteren Zeugen abgeben.
»Ich habe eine Salbe zusammengemischt, über deren Eigenschaften ich Euch jetzt noch nichts verrate, damit Eure Reaktionen ganz spontan sind«, fing er an. »Ich habe zwei Rezepte genommen, eines, so wie es dasteht, und das andere mit den Hinweisen aus dem Code.«
»Ich hoffe, dass Ihr seine Wirkung im Zweifelsfall mit unserer eigenen Medizin heilen könnt«, sagte Morwenna möglichst beiläufig, während ihr Blick misstrauisch über die Tiegel auf dem Tisch schweifte.
»Natürlich.« Er sah seine Großtante an, deren Gesicht völlig ausdruckslos war. Ihre Finger aber schlugen einen langsamen, wenig rhythmischen Takt auf der Lehne ihres Stuhls. Andry schluckte und versuchte zu lächeln. »Es ist nichts Schlimmes, wirklich. Nichts, das wir nicht sofort heilen könnten.«
»Dann macht weiter«, sagte Urival.
Andry führte sie zu zwei Stühlen gegenüber der Tür, die mit der Lehne zum Herd und zum Tisch standen, wo er an zwei kleinen Kesseln gearbeitet hatte. Hollis stand mit sauberen Tüchern und einem Eimer Wasser neben ihm bereit. Andrade stellte ihren Stuhl so hin, dass sie alles sehen konnte, auch Urival und Morwenna.
»Ich werde jedem mehrere Portionen geben. Ihr werdet nicht sehen, aus welchem Topf ich sie nehme. Vielleicht ist alles die echte Salbe, oder es ist immer die falsche, oder die Proben kommen in unterschiedlicher Reihenfolge.« Als alles fertig vor ihm auf dem Tisch stand, aber außerhalb des Blickfelds von Urival und Morwenna, warf er Andrade wieder einen Blick zu. Elegant hob sie eine Augenbraue als stummes Zeichen ihrer Herausforderung. Sie wollte, dass es schiefging, dass er unrecht hatte. Die Folgen wären zu gefährlich. Andry wusste genau, dass es funktionieren würde, und im Moment war es ihm absolut gleichgültig, was das bedeutete.
»Bitte, streckt die rechte Hand aus«, sagte er. Er nahm einen Löffel dicke, warme Salbe aus dem einen Kupfertopf und schmierte auf beiden Handflächen etwas davon auf den Ballen unterhalb des Daumens. Etwas später drehte sich Urival auf seinem
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