Mondlaeufer
erschaudern. Roelstras verräterischer Plan war dadurch gescheitert; Rohan hatte ihn im fairen Kampf getötet. Allein die Erinnerung an die Anspannung, als sie das verbotene Sternenlicht über eine so weite Entfernung aussandte, quälte sie in Albträumen.
In den Jahren danach hatten die älteren Prinzen abgewartet, um erst mal zu sehen, welche Eigenschaften Rohan als Hoheprinz zeigen würde. Die jüngeren, weniger erfahrenen hatten ebenfalls gewartet und dabei seine Stärken und Schwächen registriert. Inzwischen kannten sie ihn genau. Trotz seiner uneingeschränkten Macht brannten sie darauf, ihn herauszufordern.
Sie fuhr mit den Fingern durch das lange Gras, um seinen Feuchtigkeitsgehalt abzuschätzen. So hatte sie es als Tochter eines Gutsherrn gelernt. In der Wüste, wo sie nun schon ihr halbes Leben zu Hause war, wuchs kein Gras, doch die alte Gewohnheit saß tief, und sie lächelte, als sie das bemerkte. Ihre Kindheit auf River Run schien ihr lange zurückzuliegen. Inzwischen gehörte das Gut Davvis jüngerem Sohn Tilal, der acht Jahre lang Rohans Knappe gewesen war. Tilal war jetzt vierundzwanzig und sah sich nach einer Frau um. Sioned fiel wieder ein, dass sie mit ihrem Bruder eine Wette abschließen wollte, wie viele junge Damen an die schwarzen Locken und strahlend grünen Augen des jungen Lords ihr Herz verlieren würden. Von Davvis Bescheidenheit, was die Anziehungskraft seines Nachwuchses anging, versprach sie sich einen netten Gewinn.
Wenn sie sich doch nur allein um Familienangelegenheiten Gedanken machen müsste … Sie sah, wie sich ihre Finger zu Drachenklauen krümmten, und entspannte sie bewusst wieder. In gewisser Weise war dieser angebliche Sohn von Roelstra aber auch eine Familienangelegenheit. Ihr Blick schweifte über das Lager, und sie überlegte, welche Prinzen den Anspruch des jungen Mannes wahrscheinlich unterstützen würden, und wenn auch nur, um Rohan Ärger zu machen. Da war zunächst Miyon von Cunaxa, ein großer, magerer, arroganter Mann von dreißig Wintern, der endlich seinen Beratern, die viele Jahre lang in seinem Namen regiert hatten, die Herrschaft über sein Prinzenreich entrissen hatte. Er hatte sie alle hingerichtet, den Berichten zufolge mit seinem eigenen Schwert. Doch wenn die Herrschaft über Cunaxa auch in neuen Händen lag, so war die Politik doch dieselbe geblieben. Miyon hat ein Auge auf die nördliche Wüste geworfen und gewährte den Merida Zuflucht, denen dieses Land vor langer Zeit einmal gehört hatte. Die Wüstenstadt Tiglath war zwar keine bedeutende Stadt, jedoch der einzige einigermaßen sichere Hafen nördlich von Radzyn. Waren aus Cunaxa – Wolle, Teppiche, Kleider und die besten Schwerter und Metallarbeiten der Prinzenreiche – wurden zum Großteil über Land transportiert, denn Lord Eltanin von Tiglath hasste die Merida noch mehr als Rohan und verlangte Unsummen von den Cunaxanern, wenn sie an seiner Küste Schiffe beladen wollten. Daher wählten die Händler trotz der Nachteile des Landwegs meistens eher Karawanen als Schiffe. Miyon war realistisch genug, seinen Blick nicht weiter nach Süden auf Radzyn zu richten, wo Prinz Lleyns große Handelsschiffe vor Anker gingen, doch er würde immer nach Tiglath hungern. Er unterstützte den Anspruch dieses Emporkömmlings sicher, ob er ihm nun glaubte oder nicht, wenn er nur Druck auf Rohan ausüben konnte, damit dieser Eltanins ruinöse Hafengebühren senkte.
Mit Cabar von Gilad und Velden von Grib gab es zwei weitere junge Prinzen, die darauf aus waren, Rohan herauszufordern. Sie hatten sich jetzt schon lange zurückgehalten, doch beim letzten Rialla hatte man gemerkt, dass sie nur auf einen geeigneten Vorwand warteten. Saumer von Isel konnte beide Seiten wählen, je nachdem wie sehr er sich im Augenblick mit Prinz Volog anlegen wollte, mit dem er seine Insel und seinen Enkel teilte. Auch Prinz Chale war ein unsicherer Kandidat; er und Rohan waren oft Gegner gewesen, weil Chale Prinz Zehava, Rohans Vater, von ganzem Herzen gehasst hatte. Sioned war sich sicher, dass Chale Roelstra in seinem Krieg gegen die Wüste unterstützt hatte, doch wenn es dafür Beweise gegeben hatte, hatte man sie längst zugunsten der Freundschaft unter Prinzen begraben. Rohan war sehr großzügig, wenn es sich mit seinen Plänen gut traf. Allerdings würde Chale die Trauer um Sohn und Enkel vielleicht gleichgültig machen. Ob das eine Hilfe oder ein Problem sein würde, konnte Sioned nicht abschätzen.
Unterstützung hatte
Weitere Kostenlose Bücher