Mondlaeufer
»Erzähl mir von Gemma.«
Davvi bog vor ihr einen Weidenzweig zur Seite. »Kostas sieht gut aus, kann charmant sein, wenn er will, und ist fähig zu regieren. Und er ist ein Idiot. Sobald die Nachricht ankam, dass Inoat und der kleine Jos tot sind … Ach, er hätte es nicht dümmer anstellen können! Er ist ehrgeizig, aber nicht schlau genug, das zu verbergen, Sioned. Wäre er klug gewesen, dann hätte er die Gelegenheit genutzt, Gemma zu trösten, und wäre derjenige gewesen, bei dem sie sich ausweinen kann. Ihre Verwandten aus Ossetia standen ihr sehr nahe, auch wenn Inoat so viele Jahre älter war als sie.« Nachdenklich machte er eine Pause. »Gemma ist ein Mädchen mit tiefen, sehr beständigen Gefühlen. Ein Mädchen, das sich entscheidet und dann niemals von dieser Entscheidung abrückt, egal, was geschieht.«
»Nicht die beste Eigenschaft für eine Herrscherin, aber was soll’s. Weiter.«
Er lächelte kurz. »Da spricht die Höchste Prinzessin aus dir. Warte, wo war ich? Ach ja. Kostas konnte seine Aufregung nicht verbergen und posaunte überall herum, dass sie hier auf dem Rialla heiraten würden. Sie reagierte, wie es jedes stolze Mädchen von Rang getan hätte. Sie wird ihn auf keinen Fall nehmen, Sioned, aber er ist wild entschlossen, sie zu heiraten, damit er Ossetia zu Syr schlagen kann, wenn ich tot bin.«
»O je«, murmelte Sioned.
Davvi bückte sich, sammelte ein paar Kiesel vom Ufer auf und warf sie ins Wasser. »Ich mag das Mädchen. Sie hat Wisla und mir Riaza ersetzt, unsere Tochter, die wir durch die Seuche verloren haben. Aber ich mag sie auch um ihrer selbst willen. Und ich gebe auch zu, dass das teilweise daher kommt, dass sie kein Interesse daran hatte, Kostas zu heiraten, nur um Prinzessin von Syr zu werden.«
»Er kann mitunter etwas schwierig sein«, stellte Sioned diplomatisch fest.
Davvi schnaubte. »Er kann ein verdammter Idiot sein, wie diese Aktion einmal mehr bewiesen hat! Gemma hatte es nicht eilig, sich einen Mann zu suchen. Doch jetzt wird sie wohl jeden nehmen, nur nicht Kostas. Ich will, dass sie glücklich wird. Nach Wislas Tod vor zwei Jahren war sie mir ein großer Trost. Sie und Danladi, die Tochter von Roelstra und Lady Aladra, bringen Licht in das Leben des alten Mannes, der ich nun bin.«
»Danladi?«
»Ein stilles Kind, blond und sehr schüchtern. Es ist eine seltsame Freundschaft, wo Gemma doch so eigensinnig ist.«
»Noch seltsamer: Roelstra hat doch Jastri in den Krieg geführt, der ihn das Leben gekostet hat.«
»Ich sagte doch schon, Gemma kann sehr spontan sein, was ihre Zuneigungen und Abneigungen betrifft. Sie sind im gleichen Alter und waren noch Kinder, als Roelstra und Jastri starben. Und sie leben beide irgendwie wie im Exil. Sie sind für mich wie Töchter, Sioned.«
Sioned hockte sich auf das steinige Ufer und suchte Kiesel zusammen. »Kostas kann Gemma schließlich nicht mit Gewalt zu den Hochzeiten am Letzten Tag zerren.« Ihr Bruder antwortete nicht, hockte sich nur neben sie auf die Fersen. Entgeistert sah sie ihn an. »Sag bloß nicht, er würde sie sogar entehren, um sie so zur Heirat zu zwingen. Angesichts der Gesetze gegen Vergewaltigung wäre das sehr riskant.«
»Ich bin sicher, der Gedanke ist ihm schon gekommen«, gab Davvi düster zurück. »Ich dachte, ihr beide, du oder Rohan, hättet vielleicht ein paar Ideen. Die Wahrheit ist, dass ich nicht will, dass Kostas sowohl Syr als auch Ossetia bekommt. Er ist mein Sohn, und ich liebe ihn, und er wird seine Sache gut machen mit dem, was ich ihm gebe. Er ist sicher ein guter Mann, aber …«
»Du vertraust ihm nicht richtig?«, fragte sie vorsichtig.
»Schrecklich, wenn man das über seinen Sohn sagen muss, oder? Wenn es Tilal wäre, würde ich keine Sekunde zögern. Ihr beide habt einen feinen Kerl aus ihm gemacht, Sioned.«
»Dank dir und Wisla hatten wir auch gute Voraussetzungen dazu.«
Mit einem Schulterzucken meinte Davvi: »Denkst du jemals … Ich meine, Pol ist noch sehr jung …«
»Ich glaube, der Unterschied ist, dass Pol darauf vorbereitet ist, Pflichten von zwei Prinzenreichen zu übernehmen, nicht nur von einem. Kostas sieht in der Übernahme von Ossetia wahrscheinlich nur seine Träume wahr werden, nicht aber die Verantwortung.«
»Und Pol wird Faradhi sein«, sagte Davvi sanft.
Sioned war so verblüfft, dass sie ihren Bruder mit groben Augen anstarrte. »Willst du damit sagen, dass Kostas’ Ehrgeiz so weit geht, dass er mit Gemma Lichtläufer-Kinder zeugen
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